Connect with us

Geschichte

Als die Deutschen den Djihad entdeckten

Spread the love

Goethe hat sich mit dem Islam beschäftigt. Das wissen viele. Der Sozialdemokrat August Bebel auch. Das wissen wenige. Was jedoch kaum bekannt ist: Auch die deutsche Kriegsführung befasste sich im 1. Weltkrieg mit dem Islam: Als Propagandamittel.

Published

on

Ein Grabmal auf dem Friedhof Wünsdorf aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Darauf ist zu lesen: "Grabstätte mohammedanischer Krim-Tataren die kriegsgefangen unter der Regierung Kaiser Wilhelm II während des Welt-Krieges starben".
Spread the love

Im Süden Berlins in der Stadt Wünsdorf hatte ungefähr vor einem Jahrhundert ein Kriegsgefangenenlager seinen Sitz. Das Halbmondlager unterschied sich aber von anderen Gefangenenlagern: Denn hier wurde das Zusammenleben von verschiedenen Kulturen als Pilotprojekt im Dienste der Kriegspolitik angewendet. Das Deutsche Kaiserreich erhoffte sich, mit dieser Propaganda neue Soldaten für den Ersten Weltkrieg zu rekrutieren.

In diesem Lager wurden größtenteils muslimische Kriegsgefangene, die als Soldaten der Kolonialherren – des Vereinigten Königreichs und Frankreichs – in den Krieg gezogen waren, stationiert. Hans-Albert Hoffmann, der Militärexperte im Team der Wünsdorfer Bunker- und Bücherstadt, teilt uns die Herkunft und die Anzahl der Gefangenen mit.

„Im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 gab es hier zwei Lager für insgesamt ca. 16 000 muslimische Kriegsgefangene, also Kolonialsoldaten Englands und Frankreichs aus Indien, Arabien, Nordafrika, aber auch eine große Anzahl von Tataren aus dem russischen Heer. Diese waren in zwei Lagern untergebracht. Einmal in Wünsdorf (Halbmondlager) und das zweite Lager in der Nähe von Zossen war eigentlich mehr ein großes Barackenlager.“

Der Sultan der Osmanen (Mehmed V., auch bekannt als Sultan Reşat), ein Verbündeter des Deutschen Kaiserreiches, war zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig der 114. Kalif aller Muslime der Welt. Somit hatte er die Macht, im Falle eines Krieges alle Muslime zum Djihad zu rufen. Dies war eine gute Gelegenheit für das Deutsche Kaiserreich, um die muslimischen Kolonialsoldaten auf die eigene bzw. muslimische Seite zu ziehen.

Mehmed Akif Ersoy im Halbmondlager

Wichtige Persönlichkeiten und Sprecher besuchten das Lager. Unter diesen befand sich auch der Nationaldichter der Türkei, Mehmed Akif Ersoy, welcher mit dem Ziel, die Idee einer islamischen Einheit zu stärken, im Auftrag des Geheimdienstes „Teşkilat-i Mahsusa“ nach Berlin geschickt wurde (eine Sprachaufzeichnung von seiner Rede soll nach Angaben heute noch im Bundesarchiv vorhanden sein).

Die Aufgabe des Dichters der türkischen Nationalhymne lag darin, den gefangenen Muslimen die Wahrheit zu schildern. Denn diese wurden durch ihre Kolonialherren zum Krieg mit dem Argument motiviert, den Osmanischen Kalifen von den Deutschen zu retten. Außerdem sollte Mehmed Akif Ersoy einen Bericht über die Lage der Insassen dieser beiden Internierungslager der Osmanischen „Ittihat ve Terakki“ (Komitee für Einheit und Fortschritt) an die Regierung senden. Mit solchen Vorträgen wurde die Lage des Krieges erläutert und Beistand für den Kalifen erbittet.

Die erste Moschee auf deutschem Boden

Wichtigstes Instrument zur Überzeugung der Muslime war die Förderung der Ausübung des Islam. Die Gefangenen durften ihre Religion in vollem Maße ausleben. So wurden zum Beispiel die Verpflegungsrationen im Monat Ramadan den Bedürfnissen angepasst. Zum Fastenbrechen gab es eine Mahlzeit und auch noch eine früh bevor die Sonne aufging. Zum Opferfest wurden Schafe zur Verfügung gestellt. Am 13. Juli 1915 wurde im Halbmondlager die erste Moschee auf deutschem Boden errichtet und bei Anwesenheit der Insassen zum Gebet eröffnet. Von diesem Zeitpunkt an durfte der Muezzin bis zum Ende des Ersten Weltkriegs fünf Mal am Tag zum Gebet rufen. Für die Holzmoschee im Halbmondlager, die innerhalb von fünf Wochen errichtet wurde, nahm man den Felsendom in Jerusalem als Vorbild. Zwischen 1925 und 1926 wurde die Moschee wegen Baufälligkeit abgerissen.

Muslimischer Friedhof mitten in Brandenburg

Der Friedhof, der sich auch im Lager befunden hatte, ist heute noch für Besucher zugänglich. 1995 wurde dieser Friedhof unter Denkmalschutz gestellt. Vom englischen Königshaus und vom Bund wurden ungefähr je 300 000 € für die Sanierung gezahlt. Für die 206 indischen Kriegsgefangenen, die im Halbmondlager starben, wurde der Friedhof durch die Commonwealth War Graves Commission im Jahre 2006 renoviert. Die CWGC ist eine Einrichtung, die in Zusammenarbeit mit der Regierung des Vereinigten Königreichs für die Errichtung, Bebauung und Betreuung der britischen Soldatenfriedhöfe in Ländern des Commonwealth verantwortlich ist.

Eine ältere Dame zeigt im Friedhof mit dem Finger auf den Mihrab (die islamische Gebetsnische, die die Gebetsrichtung anzeigt): „Diesen Stein hätten sie auch besser renovieren können und hinten kann man bei einigen Grabmälern die Schrift auch nicht erkennen“, fügt sie laut hinzu, während wir Aufnahmen von dem Friedhof machen.

Auf dem Eingangstor des Friedhofs steht in drei Sprachen – Englisch, Deutsch und Russisch – das Wort „Friedhof“. Ein muslimischer Friedhof mitten in Brandenburg, auf dem aber auch Christen, Hindus und Sikhs bestattet worden sind. Heutzutage debattiert man, ob Religionen zu bestimmten Ländern gehören, wo doch damals schon die Menschen viel visionärer dachten und mehrere Religionen in Frieden auf einem so kleinen Boden beherbergen konnten – auch wenn es nur der Propaganda dienen sollte.

Heute findet man im Garnisonsmuseum in Wünsdorf, ca. 5 km entfernt vom Standort des Halbmondlagers, Gegenstände und Bilder zum Alltag der Gefangenen.

Kommandatur des Halbmondlagers Wünsdorf - Briefstempel

„Muselmann, geh du voran!“

In Kriegszeiten waren die Berührungsängste der politischen Eliten und der staatlichen Stellen in Deutschland gegenüber Muslimen generell bei weitem nicht so stark ausgeprägt. Wie kürzlich enthüllt, arbeitete der Bundesnachrichtendienst (BND) während der Invasion der UdSSR in Afghanistan mit den islamischen Mudschaheddin-Rebellen zusammen, um an sowjetische Militärtechnik zu gelangen.

Die BND-Leute interessierten sich laut Welt am Sonntag vor allem für neue Panzerungen, Munitionsarten, Nachtsichtgeräte und Navigationstechnik. Die Bundesregierungen der Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) hätten die Operation genehmigt. Zuständig sei das BND-Referat für die Regionen Naher und Mittlerer Osten gewesen; dessen Etat für die Operation habe 250.000 DM pro Jahr betragen.

Erbeuteten die Mudschaheddin-Gruppen Waffen oder Munition – manchmal auch nur Teile von abgeschossenen Flugzeugen oder Hubschraubern – von den Sowjettruppen, meldeten sich dem Bericht zufolge afghanische Kämpfer beim BND, der die Beute anschließend sichtete. Die Zusammenarbeit sei recht gut gelaufen und die deutschen Agenten hätten gut gezahlt. Sie seien Geheimdienstmitarbeitern zufolge, als humanitäre Helfer getarnt, in Flüchtlingslagern an der afghanisch-pakistanischen Grenze im Einsatz gewesen.

Die Sowjetunion war Ende 1979 in Afghanistan einmarschiert. Der verlustreiche Feldzug endete 1989 mit dem Rückzug der Roten Armee. Die USA versorgten die Mudschaheddin mit Waffen für den Kampf gegen die Besatzer. „Das war der einzige große Kriegsschauplatz in jener Zeit zwischen Ost und West”, sagte ein ehemaliger BND-Mitarbeiter. Es sei eine gute Gelegenheit gewesen, der Sowjetarmee Waffen abzunehmen, um sie dann zu testen.