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Gesellschaft

„Hier darf nicht draußen gebetet werden“

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Chinas Westen kommt nicht zur Ruhe: Viele Uiguren fühlen sich unterdrückt. Peking will den Konflikt mit Wirtschaftshilfe entschärfen, aber schickt immer mehr Polizisten. Die Spannungen sind überall in den Straßen von Ürümqi zu spüren. (Foto: dpa)

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Zwei Männer beten am 10.04.2014 in der Idgar Moschee in der Stadt Kashgar im westchinesischen Xinjiang.
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Mit aufmerksamem Blick mustert der Militärpolizist die vorbeiziehenden Passanten. Den Schlagstock trägt er griffbereit an seinem Gürtel. Zusammen mit zwei Kollegen hat er drei große Schutzschilder aus Plastik wie eine Mauer auf dem Bürgersteig in der Stadt Ürümqi in der nordwestchinesischen Unruheregion Xinjiang um sich aufgebaut. „Hier darf nicht draußen gebetet werden. Und das kontrollieren wir“, erklärt er. In den vergangenen Tagen hätten immer wieder Muslime in der Öffentlichkeit gebetet, aber das sei verboten.

Im Riesenreich China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen prallen die Unterschiede zwischen der Mehrheit der Han-Chinesen und den muslimischen Uiguren so stark aufeinander wie in Xinjiang. Wie in Tibet sitzen die Vorbehalte auf beiden Seiten tief.

Gerne würde sie im Ausland studieren – besonders in der Türkei

Im Süden von Ürümqi liegt das größte uigurische Viertel. Viele der Läden haben Schilder in arabischen und in chinesischen Schriftzeichen. Eine 22 Jahre alte Medizinstudentin schlendert über einen Kleidermarkt. „Ich fühle mich wie eine Fremde im eigenen Land“, klagt sie. Ständig werde sie eingeschränkt: „An der Uni darf ich nicht beten, kein Kopftuch oder lange Kleider tragen.“

Ein Banner der Regierung warnt am 10.04.2014 in der Stadt Kashgar im westchinesischen Xinjiang vor «illegalen religiösen Aktivitäten» und «terroristischen Videos».

Die muslimische Uigurin fühlt sich nicht wohl. Gerne würde sie im Ausland studieren – besonders in der Türkei, weil Uigurisch der türkischen Sprache sehr ähnlich sei. Denn zu Hause habe sie manchmal Angst. „Die Regierung sagt, dass uns die Polizei beschützt, aber ich fühle mich kontrolliert.“

Soldaten mit Schnellfeuergewehren bewachen den Eingang zum Gelände der Provinzregierung. In einem maroden Betongebäude grübeln die obersten Politiker über den weiteren Weg für Xinjiang. „Wir müssen uns alle als Chinesen begreifen. Wir sind ein Land und gehören alle zusammen“, sagt Vize-Gouverneur Huang Wei. Nur selten geben die Spitzenfunktionäre ausländischen Journalisten Interviews. Das Treffen mit den Reportern der Nachrichtenagentur dpa und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nimmt das Lokalfernsehen auf.

Geld als Lösung in Ürümqi?

Der 43-jährige Huang zitiert immer wieder den Regierungsslogan „Die Einheit der Volksgruppen stärken“. Der Job ist für den Han-Chinesen ein Härtetest. 20 Jahre lang hat sich der Funktionär in der Partei langsam nach oben gearbeitet. In Peking war er Vizebürgermeister, bevor ihn die Partei in das rund 3000 Kilometer entfernte Ürümqi schickte. Seit Jahren versucht die Zentralregierung, die Konflikte in Xinjiang mit Wirtschaftshilfe zu lösen. Aber die blutigen Zwischenfälle reißen einfach nicht ab. „Wir müssen uns noch mehr anstrengen“, sagt Huang.

Aber Fachleute zweifeln, ob sich die Spannungen in Xinjiang mit Geld lösen lassen. Ganz im Gegenteil: Die Forscherin Zhang Lijuan von der Xinjiang Normal University in Ürümqi macht sogar das Geld und das Wirtschaftswachstum mit für Konflikte verantwortlich. „Das schafft Ungleichgewicht. Manche Menschen werden sehr schnell reich und andere bleiben arm“, sagt sie.

Zhang Lijuan sitzt in einem Café in der Innenstadt von Ürümqi. Innerhalb von wenigen Jahren wurden Dutzende neuer Hochhäuser und Einkaufszentren gebaut. Zhang trinkt von ihrem Milchshake und sagt dann: „Mit dem Geld kommt auch ein ganz anderer Lebensstil nach Xinjiang. Das finden gerade konservative Uiguren nicht gut.“

Zhang ist Han-Chinesin und in Xinjiang groß geworden. „Als ich klein war, hatten wir viele uigurische Freunde“, erzählt sie. Später seien die Unterschiede zwischen Han und Uiguren immer größer geworden. Da habe sie angefangen, das Thema als Forscherin zu analysieren. 2009 eskalierten die Konflikte. Rund 200 Menschen starben in dem Jahr auf den Straßen von Ürümqi.

Aber die Wirtschaftshilfe aus Chinas reichen Metropolen zeigt auch positive Wirkung. Zwar kommen mit dem Geld auch viele Han-Chinesen nach Xinjiang, aber auch Uiguren finden gute Arbeitsplätze. Eine 50 Jahre alte Bankangestellte erzählt begeistert von ihrem Arbeitgeber. „Es gibt wirklich gute Aufstiegschancen“, sagt sie. Aus einfachen Verhältnissen hat sie sich aus der Stadt Kashgar hochgearbeitet bis in die Bankzentrale von Xinjiang in Ürümqi.

Die Zentralregierung hat noch viel mit Xinjiang vor. Bei seinem Europabesuch warb Chinas Staats- und Parteichef im März immer wieder für sein Konzept der „neuen Seidenstraße“. Die westliche Region der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde soll zu einem Drehkreuz für den Handel mit den Nachbarländern wie Kasachstan oder Kirgistan werden. Eine Zugverbindung führt sogar bis nach Deutschland.

„Ohne Pass können wir nicht handeln“

„Aber wie sollen wir denn davon profitieren“, fragt ein uigurischer Textilhändler. Für Mitglieder des Turkvolkes ist es in China besonders schwer, einen Reisepass zu bekommen. Die Zentralregierung hat Sorge, dass sich Uiguren im Ausland von Unabhängigkeitsgruppen anstiften lassen. Nach den Ausschreitungen 2009 war das Internet etwa ein Jahr lang in Xinjiang gesperrt. „Ohne Pass können wir aber nicht reisen und damit auch nicht handeln“, sagt der Händler.

Die Bankangestellte bleibt dennoch positiv. Aber sie leide darunter, wie Xinjiang im Rest Chinas als verlorene Konfliktregion abgestempelt werde. „Es gibt schlechte Leute, die Menschen in Xinjiang auf den falschen Weg bringen“, sagt sie. Terrororganisationen müssten bekämpft werden. Auf die Frage, ob die Vorwürfe von Diskriminierung gegen Uiguren denn falsch seien, wird sie still. „Das ist ein schwieriges Thema“, sagt sie ausweichend.

Anpassung ist vielfach der Preis für eine Karriere. Wer bei Staatsunternehmen oder der Regierung aufsteigen will, kann nur noch eingeschränkt seinen muslimischen Glauben praktizieren. „Den Glauben kann man zu Hause oder in seinem Kopf ausleben, aber nicht in der Öffentlichkeit“, sagt Vize-Gouverneur Huang. Es gebe keine Gebetspausen für Regierungsangestellte. Auch in Krankenhäusern klagen muslimische Patienten immer wieder, dass sie nicht beten dürften.

Xinjiang habe das höchste Pro-Kopf-Verhältnis von Moscheen zur muslimischen Bevölkerung, kontert Huang. In ganz China gibt es offiziell 35 000 Moscheen mit 45 000 Geistlichen. Beide Seiten müssten Opfer bringen, sagt der Vize-Gouverneur. „Wir Han-Chinesen verzichten hier ja auch oft auf Schweinefleisch.“