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Kolumnen

Der lange Atem im Journalismus

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Das journalistische Tagesgeschäft besteht in aller Regel aus der zügigen und gehaltvollen Aufbereitung aktuellen Stoffes – in Berlin wurde hingegen kürzlich auch die Ausdauer bei der Recherche zu zeitloseren Themen gewürdigt. (Foto: reuters)

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Der Arbeitsalltag eines Journalisten ist meist stressig. Hier eine Szene aus der Financial Times in Hamburg.
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Einen langen Atem muss man als Journalist des Öfteren haben. Im redaktionellen Alltag wird er jedoch nicht selten geringer geschätzt als er wert ist. Da geht es allzu oft um die bloße Schnelligkeit bei der Anwendung des journalistischen Werkzeugs sowie des idealerweise reichlich vorhandenen Hintergrundwissens – nicht selten auf Kosten der Tiefe und Qualität. Um hier einen Gegentrend zu setzen, lobt der Deutsche Journalistenverband Berlin-Brandenburg nun zum siebenten Mal den Preis mit der Bezeichnung „Der lange Atem“ aus, der an Kollegen verliehen wird, deren Recherchen und Geschichten ohne einen solchen langen Atem nicht zustande gekommen wären.

Die Bedeutung des Preises wie auch der täglichen Journalismus-Arbeit in einer Demokratie unterstrich der Ehrengast des Abends, Prof. Dr. Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht mit dem Schwerpunkt Medien.

Auch in diesem Jahr hätten sich alle Nominierten wieder diesen Preis verdient, denn es handelte sich jeweils um gründliche und oft auch mutige und höchst tiefgründige Beiträge. Im Rennen waren unter anderem Irène Bluche mit ihrer langen Begleitung einer Teenagermutter für den rbb, Florian Diekmann und Oliver Trenkamp mit ihren Recherchen zu Extremismus in einer Burschenschaft, Elena Griepentrog mit ihren Ausführungen zu psychischen Spätfolgen bei Kriegsenkeln, Sebastian Höhn mit seinen Enthüllungen zum Umgang mit Schrottimmobilien, Jost Maurin mit der Aufdeckung von Missständen in der Ökobranche und Andreas Wenderoth, der soziale Außenseiter in Berlin vorstellte.

Einen Preis erhalten konnten am Ende jedoch nur drei und die Jury unter dem Vorsitz von Hans-Ulrich Jörges entschied sich am Ende für Simone Wendler von der Lausitzer Rundschau als erste Preisträgerin. Sie hat mit ihrer zweijährigen Recherche zu Rechtsextremen in der Lausitz nicht nur Akribie, sondern auch Mut bewiesen. Drohungen und auch Angriffe, wie einmal ein Steinwurf ins eigene Haus, blieben dabei nicht aus, betonte Laudatorin Dagmar Engel von der Deutschen Welle.

Zeichentricksequenzen über Aussteiger und Entmietete

Den zweiten Preisträger stellte Sabine Proschka vom Journalistenverband vor. Den Platz erlangte der freie Journalist Mario Kaiser mit seinem einfühlsamen Portrait von Andreas Läufer, der nach einer kurzen Hartz IV-Karriere und dem Scheitern an einem Antrag für einen Gründungszuschuss nicht in die Selbstständigkeit, aber in die Selbstbestimmtheit wechselte. Er gab seine Wohnung auf und ist seither obdachlos. Er wird immer wieder aufgesucht und begleitet von Mario Kaiser, der ihm eine ausführliche Beschreibung im SZ-Magazin widmet – und das in einem Sprachstil, der den Wahnwitz deutscher Behördenabläufe überzeugend widerspiegelt.

Mit ihrem Filmbeitrag „Betongold“ überzeugte schließlich Katrin Rothe (rbb/ARTE) Jury und Publikum. Sie erhielt den dritten „langen Atem“ von der Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, als Laudatorin überreicht. Prämiert wurde sie für ihre Chronik der eigenen Entmietung. Neben der nüchtern vermittelten sozialen Brisanz der Thematik, Rothe würde sie mit dem Begriff „Immobilienblase“ umschreiben, ist die Dokumentation auch künstlerisch anspruchsvoll und ansprechend. Szenen, die nicht gefilmt werden durften, werden als Zeichentricksequenz dargeboten. Die Tragik dessen, was in der Berliner Immobilienszene passiert, wird am Beispiel eines Hauses in Friedenau eindrücklich erzählt. Es könnte überall sein.