Connect with us

Gesellschaft

„Maria statt Scharia“: Hellersdorf sucht den Supernazi

Spread the love

Die Unterbringung von bis zu 400 Flüchtlingen aus Kriegsgebieten in einer früheren Schule des 76 000 Einwohner zählenden Berliner Bezirks mobilisiert Rechtsextreme aller Schattierungen. Berlins Sozialsenator will hart bleiben. (Foto: dpa)

Published

on

"Maria statt Scharia": Neonazis protestieren gegen das Asybeweberheim in Berlin-Hellersdorf.
Spread the love

Begleitet von einem starken Polizeiaufgebot sind auch am Mittwoch wieder Unterstützer und Gegner eines neuen Flüchtlingsheims in Berlin-Hellersdorf auf die Straße gegangen. Rund 50 antirassistische Demonstranten versammelten sich am Vormittag, um gegen eine Kundgebung der rechtsextremen „Bürgerbewegung pro Deutschland“ zu protestieren. Die Polizei war mit rund 300 Einsatzkräften vor Ort. Bereits seit Montag gibt es Proteste gegen die Unterkunft im Ostteil Berlins, nachdem Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan dort eingezogen waren. Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist in den vergangenen Monaten stark gestiegen.

Seit bekannt wurde, dass in dem alten Gymnasium des Berliner Problembezirks zunächst 200, künftig vielleicht bis zu 400 Asylbewerber eine neue Bleibe finden sollen, herrscht eine aggressive Stimmung. Eine unter dem Schutz der Anonymität agierende „Bürgerinitiative“ agitiert vor allem über soziale Netzwerke. Obwohl sie Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen zurückweist, äußern sich ihre Anhänger in rassistischer und zum Teil den Tatbestand der Volksverhetzung verwirklichender Art und Weise.

Anfang August waren bei einer Kundgebung der Hetzer zwölf Männer festgenommen worden, als sie den verbotenen Hitlergruß gezeigt hatten. Zwei von ihnen waren bereits vorher auffällig geworden, gegen sie wird nach Informationen des Tagesspiegels auch wegen anderer Straftaten ermittelt. Vor kurzem wiederholte sich dieser Vorfall. Ein Mann mit einem rosafarbenen T-Shirt wurde ebenfalls abgeführt, nachdem er die Hand zum Hitlergruß erhoben hatte. Nur wenige Minuten vorher hatte er in einem Interview mit einem ARD-Reporterteam seinem Ausländerhass freien Lauf gelassen.

„Bürgerinitiative“-Anhänger wünschen sich zweites Rostock-Lichtenhagen

Auf der nach ihrer Löschung mittlerweile wiedereröffneten facebook-Seite der „Bürgerinitiative“ wurde beispielsweise geäußert: „Sollen doch die Bonzen dieses Drecksgesindel in Ihr Viertel schicken stattdessen wird das Pack wieder zum „gemeinen“ Volk abgeschoben, damit wir bald noch ein Wedding, Neukölln und Kreuzberg haben! Dieser Dreck verteilt sich wie Ungeziefer. Am besten wir lösen die Sache wie in Rostock, 1993, aber da werden nicht genug die Eier in der Hose haben!“ [sic!]

Am gestrigen Dienstag hatten sich entsprechend dann auch 40 Anhänger der neonationalsozialistischen NPD auf dem Alice-Salomon-Platz unweit des Wohnheims versammelt, nachdem der Partei eine Kundgebung direkt vor dem Gebäude untersagt worden war. Zwar wurde die Kundgebung zum Fiasko, da 600 Gegendemonstranten die Reden der Nazis übertönten, dennoch nahmen die Einsatzkräfte im Umfeld der Kundgebung nach einem Bericht des Portals „Endstation Rechts“ 25 Personen wegen Landfriedensbruch und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz fest. 100 Antifaschisten blieben über Nacht, um die Asylbewerberunterkunft gegen mögliche Übergriffe zu schützen. In der Nacht soll es zu Ausschreitungen zwischen Heimbefürwortern und Mitgliedern der „Hell`s Angels“ gekommen sein.

Ein NPD-Anhänger wurde vorübergehend in Gewahrsam genommen, da er eine Journalistin angegriffen haben soll. Der Übergriff wurde von einem Fotografen dokumentiert. Die Berliner Morgenpost berichtet, die Frau hätte zuvor versucht, das Lautsprecherkabel aus der NPD-Mikrofonanlage zu ziehen. Bei dem braunen Gewalttäter soll es sich um den bekannten Neonazi-Aktivisten Mike T. handeln. Eine Anzeige wegen Körperverletzung sei aufgenommen worden, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Am Montag waren 42 Asylbewerber unter Polizeischutz in das Wohnheim gebracht worden – durch den Hintereingang, um einem Spießrutenlauf durch die verärgerten Anwohner zu entgehen. Einige von ihnen kommen aus Kriegsgebieten. Die Flüchtlinge aus Serbien, Syrien und Afghanistan, unter ihnen viele Familien mit kleinen Kindern, haben Angst. Sechs der gerade Eingezogenen verließen deshalb die Einrichtung schnell wieder. Ein DRK-Bus brachte sie zurück ins Erstaufnahmeheim in Berlin-Spandau.

Bosbach will „Sorgen der Anwohner ernst nehmen“

Angesichts von Konflikten um Asylbewerberheime wie jetzt in Berlin-Hellersdorf hat der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach ein Krisentreffen gefordert. Am Tisch sollten möglichst rasch Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände sitzen, sagte Bosbach der „Saarbrücker Zeitung“ (Mittwoch). Das Thema dürfe nicht den Rechtspopulisten überlassen werden.

Nach Ansicht Bosbachs ist mehr Personal nötig, um Asylverfahren zu beschleunigen und Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu helfen. Er warnte davor, leerstehende Krankenhäuser oder Schulen in Unterkünfte umzuwandeln, so dass viele Flüchtlinge auf einmal dort einziehen können. „Man muss die Sorgen der Anwohner ernst nehmen.“

Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) wiederum warnte vor „Rattenfängern, denen es sowieso nicht um dieses Heim geht“. Bei Gesprächen mit Anwohnern, solange keine Presse und keine angereisten Rechtsextremisten dabei gewesen wären, sei die Atmosphäre gut gewesen. Viele Anwohner stören nun vor allem der Medienrummel und die vielen Demos. Einige Nachbarn wollten Heim und Besucher kennenlernen, sie kamen aber nicht rein. Czaja erklärte wiederholt, er werde das Recht der Flüchtlinge auf eine Unterkunft durchsetzen.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast bezeichnete Aktionen von Rechtsextremisten gegen Flüchtlingsheime als Problem. Vor diesem Hintergrund müssten Kommunen die Entscheidungen für Heimstandorte sorgfältig treffen. „Dazu gehört jeweils auch ein umfassendes Sicherheitskonzept.“ Den Umgang mit dem Thema in Berlin-Hellersdorf bezeichnete sie als sehr lax – auf Kosten der Flüchtlinge. (dpa/Endstation Rechts/dtj)