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Politik

CHP-Wahlprogramm: In vier Jahren ins Schlaraffenland

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Die CHP hat ihr Wahlprogramm für die Parlamentswahlen am 7. Juni vorgestellt. Es hat eine eindeutig sozialdemokratische Handschrift, wird aber für seine teils unrealistischen Wahlversprechen kritisiert.

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CHP-Wahlheft
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Unter dem Titel „Eine lebenswerte Türkei“ („Yaşanacak bir Türkiye„) steht das Programm, mit denen die CHP auf Stimmenfang für die Parlamentswahlen am 07. Juni gehen will. Es hat einen Schwerpunkt auf sozialer Gerechtigkeit und ist mit vollmundigen Versprechungen nicht sparsam. So soll der Mindestlohn von derzeit 949 TL (330 Euro) auf 1500 TL (520 Euro) angehoben, die staatlichen Sozialhilfeleistungen für arme Familien verdoppelt und neue Leistungen speziell für Rentner und alte Menschen eingeführt werden, darunter zwei zusätzliche monatliche Zahlungen vor dem Ramadan und dem Opferfest. Laut dem Parteivorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu sollen die neuen Leistungen vor allem den 17 Millionen Menschen in der Türkei zugutekommen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. 3,2 Millionen Menschen würden dem Programm zufolge kostenlose Gesundheitsversorgung beanspruchen können. Die AKP hingegen habe die Armut bisher nur verwaltet, anstatt Schritte zu unternehmen, um sie zu beseitigen. Dabei versprach Kılıçdaroğlu allen Ernstes, die Armut im Land innerhalb von vier Jahren zu beseitigen, falls er zum Premierminister gewählt wird: „Ich verspreche – und das ist mein Ehrenwort – dass es innerhalb von vier Jahren keine armen Leute mehr in der Türkei geben wird.“

Mehmet Şimşek, Finanzminister der AKP, kritisierte die Pläne mit einem Funken Ironie: „Lass sie uns sagen, welche Steuern sie erhöhen und in welchen Bereichen sie sparen wollen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, woher wollen sie dann die Kredite dafür kriegen und wie werden sie ihre Rechnungen bezahlen, ohne das Leistungsbilanzdefizit in die Höhe zu treiben und die Türkei in eine neue Krise zu stürzen? Wenn sie das schaffen, hätten sie den Nobel-Preis verdient!“ Dann fügte er hinzu: „Ich sage es ganz klar: Lass sie uns ihre Quellen zeigen. Dann würde ich nicht nur meinen Hut vor ihnen ziehen, sondern sogar sagen, dass ich selbst CHP wähle.“

Kılıçdaroğlu: AKP ist die „größte Gefahr für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei“

Auch abseits der Wirtschaftspolitik wartet das Wahlprogramm mit großen Versprechen auf. Das parlamentarische System soll als Gegenentwurf zu den AKP-Plänen für ein Präsidialsystem weiterentwickelt und zu einer Demokratie im Einklang mit EU-Normen werden. Dazu soll die Zehn-Prozent-Hürde abgeschafft, illegales Ausspähen und Überwachen durch die Sicherheitsbehörden beendet sowie Gesetze gegen übertriebene Polizeigewalt und den exzessiven Einsatz von Tränengas verabschiedet werden. Außerdem sollen die Gesetze, die die Benutzung des Internets regulieren mit internationalen Vereinbarungen in Einklang gebracht werden. Eine neue Verfassung müsse dabei auf einem sozialen und parlamentarischen Konsens fußen, um Freiheiten auszuweiten, die Demokratie zu stärken und sozialen Frieden herzustellen. Ohne Erdoğan namentlich zu nennen wird er im Wahlprogramm dafür kritisiert, bewusst die Befugnisse seiner Position zu überschreiten und widerrechtlich Druck auf Justiz, Parlament und Regierung auszuüben. Das Präsidentenamt müsse als überparteiische Institution mit eingeschränkter politischer Macht und begrenztem Einfluss auf die Funktionsweise von Parlament und Regierung wiedererrichtet werden.

Die Partei positioniert sich auch mit Blick auf die Kurdenfrage als Alternative

Auch mit Blick auf den Friedensprozess mit der PKK setzt die CHP auf einen parlamentarischen Weg. Die Lösung der Kurdischen Frage dürfe kein Verhandlungsgegenstand für das geplante autoritäre Präsidialsystem sein, stattdessen müsse man sich für die wirtschaftliche Entwicklung des Südostens einsetzen, Schulbildung in der Muttersprache erlauben und das umstrittene Dorfschützersystem abschaffen. Damit geht die CHP inhaltlich noch einen weiteren Schritt auf die Forderungen der HDP zu und scheint sich als möglichen alternativen Verhandlungspartner im Friedensprozess empfehlen zu wollen.

Populistisch ist das Wahlprogramm der CHP vor allem im wirtschaftspolitischen Bereich und das nicht zu knapp. Gleichzeitig spiegelt sich darin jedoch auch der Trend, der sich schon während der parteiinternen Vorwahlen für die Parlamentskandidaten abgezeichnet hat: Die Partei Atatürks scheint sich auf ihre in den letzten Jahren gefühlt in Vergessenheit geratenen sozialdemokratischen Grundsätze zurückzubesinnen und weiter nach links zu öffnen. Damit überlässt sie dieses Feld nicht allein der HDP, die es zunehmend schafft, auch die Stimmen linker, urbaner Türken zu gewinnen. Somit könnte sie sich tatsächlich zu einer wahltaktischen Alternative für diejenigen entwickeln, denen die CHP bis jetzt zu konservativ war, die aber ihr Kreuz nicht guten Gewissens bei einer „Kurdenpartei“ machen wollten.