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Politik

Wie dachte Helmut Schmidt über die Türken und das Leben nach dem Tod?

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Zu seinem endgültigen Abschied gab es heute in Hamburg noch einmal die große politische Bühne für Helmut Schmidt. Sein ehemaliger Redenschreiber charakterisiert ihn als wichtigen Staatsmann und Zeitzeugen. Wir sprachen mit ihm.

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In Hamburg fand heute der Staatsakt zur Beisetzung Helmut Schmidts statt. 1.800 Gäste, darunter Bundeskanzlerin Merkel, Bundespräsident Gauck, mehrere Altbundespräsidenten, der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger sowie Spitzen aus Gesellschaft und Politik, ehrten den verstorbenen Altbundeskanzler im berühmten Hamburger Michel.

Der promovierte Historiker und Publizist Jochen Thies hat mehrere Jahre eng mit Schmidt zusammengearbeitet. Er war stellvertretender Gruppenleiter im Bundeskanzleramt und Schmidts Redenschreiber. Im DTJ-Interview wagt er einen persönlichen Rückblick auf den Menschen Helmut Schmidt und seinen Charakter.

Herr Thies, Sie kannten Helmut Schmidt persönlich. Was waren die ersten Gedanken, als Sie von seinem Tod erfuhren?

Thies: Helmuth Schmidt hat in seinem Leben vieles erlebt, aber auch viel Leid ertragen. Als ich von seinem Tod erfuhr, sagte ich mir, der Kampf ist nun vorbei. Ich glaube, er war auch bereit zu sterben.

Was für ein Mensch war er?

Thies: Er war ein sehr geradliniger hanseatischer Preuße. Keineswegs nur Schmidt-Schnauze, mit der er als Polterkopf zu Berühmtheit gelangt ist. Es ist richtig, dass er gegenüber sich und andere sehr hart ins Gericht gegangen ist. Er war aber auch ein sehr sensibler, sehr empfindlicher Mensch.

Schmidt kam als Kanzler nach Willy Brandt und vor Helmut Kohl. Der Erste steht für die Ostpolitik, der Zweite für die Einheit Deutschlands. Was ist die historische Leistung Helmut Schmidts?

Thies: Er hat vorgelebt, wie es möglich ist, unter schwierigen Bedingungen Normalität zu üben. Seine acht Kanzlerjahre waren keine Zeit von weltpolitischen Großereignissen. Deutschland war aber im Fadenkreuz des RAF-Terrorismus und Schmidt hat das Land auf Kurs gehalten. Und das ist ihm gut gelungen.

Er war als ein ehrlicher Mensch bekannt und hat sich mit seiner Meinung nicht gerade zurückgehalten. Zur türkischen Einwanderung hatte er eine klare, ablehnende Haltung – und das als Sozialdemokrat. 

Thies: Er hatte in dieser Frage immer noch ein Bild aus einer bestimmten Zeit und trug die Generationserfahrung aus dieser Zeit mit sich.

Was genau meinen Sie damit?

Thies: Schmidt ist in einer Zeit groß geworden, in der Deutschland vom Rest der Welt isoliert war. Als er noch gerade mit 15 ein junger Mann war, kamen die Nazis an die Macht. Deutschland war 13 Jahre lang vom Rest der zivilisierten Welt abgekoppelt. Es ist richtig, dass er nach dem Krieg umso neugieriger und bereit war, die Welt kennenzulernen. Deutschland hat sich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht als Teil der westlichen Welt verstanden. In englischer Kriegsgefangenschaft ist Schmidt, der später ein überzeugter Atlantiker geworden ist, dann über Nacht mit eben dieser Welt in Berührung gekommen. Wie er erzählte, hat er dann sehr viele Bücher von englischen und amerikanischen Schriftstellern quasi in sich aufgesogen, um das, was er vorher nicht bekommen hatte, gewinnen zu können. Aber ein gewisses Bild von Nation und Nationalstaat, auch von einem ethnisch „reinem“ Land ist wohl geblieben.

Nach seiner politischen Karriere hat Schmidt eine zweite als Journalist, Publizist und „Welterklärer der Deutschen“ begonnen. Was war sein intellektueller Beitrag zu den Debatten der letzten Jahrzehnte?

Thies: Er ist über die Jahre ein weiser Mann geworden, begonnen hat er ja als Ökonom. Für Geschichte hat er sich in der Zeit, als er noch Kanzler war, kaum interessiert. Genau so, wie er nach dem Krieg viel gelesen und sich verändert hat, hat er die Zeit nach seiner Kanzlerschaft genutzt, um sich im Selbststudium weiter zu entwickeln. Zudem hatte er mit Persönlichkeiten wie Fritz Stern, dem aus Deutschland in die USA emigrierten Historiker, sehr interessante Gesprächspartner. Schmidt hatte sehr gute Kontakte zu ehemaligen führenden Staatsmännern der Welt, wie zum Beispiel Henry Kissinger aus den USA, Valéry Giscard d’Estaing aus Frankreich, Anwar al Sadat aus Ägypten und Lee Kuan Yew aus Singapur. Diese Kontakte hat er über Jahre gepflegt und viel aus den Gesprächen mit diesen wichtigen Männern mitgenommen. Zudem war er war ein guter Volkspädagoge. Man darf seinen intellektuell-philosophischen Beitrag nicht überbewerten. Er war eher der Lehrer der Nation, ein Lehrer, dem die Deutschen gerne zugehört haben. Jedoch ist er als Autor nicht mit Kissinger oder Mitterand, der sehr bemerkenswerte Memoiren hinterlassen hat, zu vergleichen.

Sie haben mehrere Jahre für Schmidt gearbeitet. Haben Sie besondere persönliche Erinnerungen aus der gemeinsamen Zeit?

Thies: Ich erinnere mich an einen Moment in Rheinland Pfalz an einem kleinen, sehr malerischen Ort in der Nähe von Ludwigshafen. Dort hatte Schmidt in brütender Hitze eine Rede zu halten. Die Sonne knallte auf das Rednerpult. Obwohl es sehr heiß war, kamen nicht nur viele Sozialdemokraten, um Schmidt zu sehen und zu hören, was er ihnen zu sagen hatte. Als er mit seiner Rede fertig war, gab er mir einen kleinen angedeuteten Boxhieb. Das war für mich, da ich die Rede verfasst hatte, die höchste Form der Anerkennung.

Schmidt sagte mal über sich, dass er weder religiös noch Atheist sei. Sein Vertrauen in Gott habe er aber durch Auschwitz verloren. Und über den Tod sagte er: „Auch nach dem Tod leben wir weiter. Kein Molekül, keine Energie geht verloren. Wir leben in einer Pflanze, in einer Biene weiter, die auf einer Blüte schnuppert.“

Thies: Wir wissen alle nicht genau, was uns nach dem Tode erwartet. Schmidt war jemand, der in der ersten Hälfte seines Lebens erst die Nazi-Diktatur erlebt und dann über Jahrzehnte als Sozialdemokrat und Realpolitiker das demokratische Deutschland mit aufgebaut und mit gestaltet hat. Danach hat er sich Gedanken über Gegenwart und Zukunft unseres Landes gemacht und mehrere Bücher verfasst. Mit ihm ist ein wichtiger Staatsmann und Zeitzeuge von uns gegangen.

Wenn man bedenkt, dass er fast 100 Jahre alt geworden ist, war sein Tod keine Überraschung. Ich rechnete ab Mitte September damit, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde und anscheinend zu Hause sterben wollte. Als ich ihn das letzte Mal sah und nach dem Gespräch schon auf dem Weg aus seinem Büro war, drehte ich mich um ging nochmal zu ihm. Ich sagte ihm: „Herr Bundeskanzler, Gott beschütze Sie!“ Er blickte nicht auf und griff nach einem Schriftsatz, der auf dem Schreibtisch lag.