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Politik

Warum Ankaras Syrienpolitik von Beginn an falsch war

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Unser Autor hat seit drei Jahren die türkische Haltung im Syrienkonflikt kritisiert. Nun fühlt er sich im Angesicht der wahrscheinlich bevorstehenden Militärintervention westlicher Staaten in seinen Analysen bestätigt. (Foto: cihan)

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Der türkische Premierminister Erdogan bei einem Gespräch mit dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad im Jahr 2010.
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Syrien, das Land, was vor unseren Augen stirbt, wird einen weiteren Schlag von den Westmächten versetzt bekommen. Die Ziele sind bekannt: In Syrien sollen weder Muslime noch die Iran-Hisbollah die Initiative ergreifen.

Die Operation kann, genau wie es in Afghanistan und im Irak der Fall war, auch in Syrien zu einem vorzeitigen Chaos führen. In Syrien hat jeder verloren. In erster Linie die Türkei, der Iran, die Islamisten, wir alle! Momentan scheinen die Könige, Emire, Scheichs, vielleicht auch die postmodernen Kreuzritter, welche planen, sich in der Region niederzulassen, gesiegt zu haben. Es gilt aber wie immer: „Sie haben einen Plan, doch Allah hat auch einen Plan.“ Wir müssen ein Fazit ziehen:

1.

Es ist nun an der Zeit, den seit 2011 an uns gerichteten, hegemonialen Diskurs der türkischen Außenpolitik, der sich mit dem Satz „In Syrien gibt es einen grausamen Führer, der sein Volk ermordet, und wir helfen den Unterdrückten“ zusammenfassen lässt, unter die Lupe zu nehmen. Nun ist es zutreffend, dass es ein grausames Regime gibt, doch der Weg der türkischen Regierung war nicht der richtige, um es zu stürzen. Man sprach von drei Monaten, in denen die Revolution vollzogen werden sollte – mittlerweile sind 30 Monate vergangen. Man wollte Opfer verhindern, doch haben bereits 100 000 Menschen ihr Leben verloren. Millionen von Syrier wurden in alle Winde zerstreut. Frauen und Kinder wurden Opfer der Prostitutions- und Organmafia.

2.

Syrien war dabei, sich zu verändern – für die Türkei stellte es einen Wegweiser dar. Wenn die zivile Opposition nicht militarisiert worden wäre, hätten sich Assad und seine Regierung vielleicht schrittweise auf positive Art und Weise verändert – doch die Könige hatten Angst davor, denn sie würden die Nächsten sein. Die Türkei ist in die Falle der Könige und des Westens getappt.

3.

Die Unruhe und das Blutvergießen statt der Methode der Änderung des Führungsstils der Sunniten deuten auf das Fehlen kluger Ratgeber hin. Warum hat die Türkei Syrien von ihren Ratschlägen, welche sie der ägyptischen Opposition und der Bruderschaft gegeben hatte, verschont? Weshalb konnten die Akademiker, Lehrer, Schriftsteller oder Islamgelehrten kein Wort herausbringen?

4.

Das Außenministerium hat bei seiner Syrienpolitik die soziopolitische und militärische Struktur Syriens falsch interpretiert: Hinter dem Baath-Regime steht eine Masse, welche ungefähr 45% des Volkes ausmacht und aus folgenden Richtungen besteht: a) Alawiten, b) Christen, c) sunnitisch-säkulare arabische Nationalisten. Sie alle stehen hinter Assad. d) Die Kurden waren strategisch gesehen weder gegen Assad noch vollständig für ihn. e) Die sunnitischen Gelehrten hatten beharrlich betont, dass der bewaffnete Kampf, um Assads zu stürzen, ein Fehler wäre und flehten die Türkei an, gegenzusteuern. Zu diesen Stimmen gehörten beispielsweise der verstorbene Ramadan al Buti, der in die Türkei ausgewanderte Cevdet Said und viele weitere mehr. f) In der Geschäftswelt, in der Bürokratie, im Militär sind nicht nur die Nusayris wirkmächtig, sondern auch die Sunniten. Diese sind gegen den bewaffneten Kampf. Sie wollten keineswegs, dass von außen Eindringlinge kommen und eine Front im Bürgerkrieg bilden. Vernünftig denkende Oppositionsführer wie Muadh Khatib mussten schließlich schweigen.

5.

Regional betrachtet haben die Hisbollah-Fraktionen des Iran, des Irak, Syriens und des Libanon einen Block gebildet. Im Falle einer militärischen Intervention der Türkei, müsste sie den Krieg mit diesen vier Ländern in Kauf nehmen – der nicht zu führen wäre.

6.

Hinter Syrien stehen ganz offensichtlich Russland und China. Für Syrien können die USA keinen Krieg mit Russland in Kauf nehmen. Sie können sich nur in einem vereinbarten Ausmaß bewegen.

7.

Ein Bürgerkrieg in Syrien, wird nicht, wie das türkische Außenministerium, unwissende Denkfabriken und impulsiv-propagandistische Kolporteure es abgeschätzt haben, „in drei Monaten“ enden. Syrien wird am Ende des Krieges entweder völlig ausgezehrt, von einer Intervention betroffen oder genau wie der Irak gespalten sein – es würde kein Syrien mehr geben.

8.

Ein Bürgerkrieg in Syrien würde den Konflikt unter der Glaubensrichtungen vertiefen: Die Spannungen unter Sunniten und Schiiten, Schiiten und Wahhabiten, Sunniten und Alawiten würden sich noch stärker ausprägen, und am Ende könnten diese Konflikte die Region in eine Hölle verwandeln – was sie in der Tat auch machen.

9.

Die Länder der Region könnten in einen Konkurrenzkampf hineingezogen werden und in die Gefahr eines Syrien übergreifenden Krieges geführt werden; oder sie würden durch Stellvertreterkriege oder direkt anfangen, sich gegenseitig zu schaden.

10.

Die islamischen Länder können sich nicht einigen und so einen Bürgerkrieg verhindern. Der alberne Konkurrenzkampf unter ihnen, der Fanatismus der Glaubensrichtungen und die Interessenkonflikte würden die militärische Besetzung durch die Westmächte noch mehr stärken und zu einem Dauerzustand machen. Da in der Vergangenheit die Auseinandersetzungen unter den Muslimen in der Region zur einer Dominanz der Kreuzritter für zwei Jahrhunderte geführt hatten, erleichtert es auch die Konkurrenz zwischen der Türkei, dem Iran und den Saudis heute dem Westen, seine Besetzungen zu verwirklichen.

11.

Mit Blick auf diese Konkurrenz würde der Palästina-Staatswerdungsprozess am meisten leiden und Israel am meisten profitieren.

Diese Warnungen hatten wir seit drei Jahren in dieser Kolumne ausgesprochen. Doch hat uns niemand zugehört. Nun betteln wir darum, dass die Westmächte kommen und die Unterdrückten retten. Anstatt uns selbst in Frage zu stellen, schreiben wir uns die Eigenschaften Großbritanniens als „das Land, in dem die Sonne nie untergeht“ zu.

Was für eine Schande!


Ali Bulaç
, Soziologe, Theologe, Journalist und Buchautor, ist Kolumnist bei „Zaman“ und „Todays Zaman“ und moderiert Polit-Talks im türkischen Fernsehen.