Gesellschaft
Auf ein Glas Tee hinter den Fronten des Dschihad
„Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen, Scheich“, erwiderte ich und blickte zu dem Mann an der Wand, der seine Kalaschnikow nach wie vor auf mich gerichtet hielt. „Eigentlich bin ich in Frieden und Freundschaft hergekommen, um einen Tee mit Ihnen zu trinken.“ Er lächelte. „Der Tee kommt sofort (…)“
Diese Zeilen stammen nicht aus einem witzigen Roman, sondern von einem tatsächlich so stattgefundenem Erlebnis der Investigativ-Journalistin Souad Mekhennet im Libanon. Es handelt sich dabei um ein Interviewgespräch mit einem führenden Terroristen aus dem Nahen Osten. Dieses Gespräch ist keine Ausnahme für Souad Mekhennet, wie sie in ihrem im Sommer erschienen Buch „Nur wenn du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad“ aufzeigt. Mekhennet ist deutsche Journalistin mit marrokanischem Vater (Sunnite) und türkischer Mutter (Schiitin).
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wandert Mekhennet auf den Spuren des Terrorismus und spricht mit jungen Menschen, die von Terroristen umworben worden sind. Das Besondere: Sie spricht auch mit Terroristen persönlich. Damit erreicht Mekhennet, die als Kind einer marokkanisch-türkischen Gastarbeiterfamilie in Frankfurt a.M. geboren wurde, etwas, was bis heute kein zweiter Journalist in der westlichen Medienwelt erreicht hat. Sie versucht nachzuvollziehen, was junge Männer aus Europa in den Dschihad treibt. Sie baut ihren Erklärungsversuch anhand einzelner Schicksale auf. Meist zeigt sich dabei ein gleich bleibendes Muster: Jugendliche fühlen sich von der Gesellschaft benachteiligt oder werden von ihren Familien alleingelassen. Dabei legitimiert Mekhennet mit ihrem Buch keineswegs die Beweggründe von Terroristen. Sie versucht aber ihren Lesern diese Beweggründe näherzubringen.
Für ihre Storys geht Mekhennet immer wieder an ihre Grenzen und begibt sich in gefährliche Situationen. Oft muss die „Sicherheitsexpertin“ der Washington Post ihre eigene Sicherheit und ihr eigenes Leben riskieren. Nicht selten reist sie ohne Begleitung in Gefahrenzonen. Dabei gelangen der Journalistin, die für die „New York Times“, „Washington Post“ und das „ZDF“ arbeitet, in er Vergangenheit immer wieder exklusive Enthüllungen. So lüftete sie beispielsweise das Geheimnis um den als „Jihadi John“ bekannten, britischen IS-Henker, oder berichtete über getötete Zivilisten bei einem US-Einsatz im Irak.
Mutig und beharrliche, wie die marokkanische Großmutter
Ihr Vorteil gegenüber anderen Journalisten ist dabei ihr muslimischer Migrationshintergrund. Die Journalistin stellt Fragen, die andere Kollegen nicht zu fragen wagen würden – schon gar nicht, wenn sie schutzlos vor weltweit zur Fahndung ausgeschriebenen Terroristen säßen. Mekhennet ist nicht nur mutig, wenn sie mit Terroristen spricht, sondern bleibt auch vor westlichen Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten stets beharrlich. Zum Beispiel berichtete sie entgegen aller Widerstände über die Herkunft und die Religion der entscheidenden Hinweisgeberin für den Aufenthaltsort des Paris-Attentäters (Pariser Terroranschläge vom 13. November 2015) Abdelhamid Abaaoud, der wenig später von den Sicherheitsbehörden getötet wurde. Den Mut und die Beharrlichkeit habe sie übrigens von ihrer marokkanischen Großmutter geerbt, erklärt sie immer wieder.
Wenn Sie vom Sunni-Schia-Konflikt spricht und schreibt, ergreift Mekhennet, die väterlicherseits sunnitisch und mütterlicherseits schiitisch ist, nie Partei. Sie betrachtet den Konflikt neutral und bleibt stets sachlich. Dennoch liest sich das Buch wie ein spannender Roman.
Mekhennet spricht Diskriminierung in Deutschland offen an
Ungewöhnlich erscheint indes, dass die deutsche Autorin das Buch nicht in deutscher Sprache, sondern in englischer schrieb. Vielleicht ist das von der Autorin als Denkanstoß zu verstehen: In ihrem Buch schreibt Mekhennet, dass sie in Deutschland mit ihren arabisch-türkischen Wurzeln kaum Aufstiegschancen in der Medienwelt hatte.
Ihren Traumjob hätten ihr erst die Vereinigten Staaten von Amerika und die dortigen Freiheiten ermöglicht. Im Buch erzählt sie mehrmals von Diskriminierungserfahrungen seitens ihrer Kindergärtnerin. Insgesamt glaubt Mekhennet, dass die Wurzeln des Hasses und Terrors viel früher und viel mehr an den Wurzeln angepackt werden müssten. Schließlich habe sie eins gelernt: „Die Schreie einer Mutter, die ihr getötetes Kind beweint, klingen immer gleich, egal ob sie nun schwarz, braun oder weiß, Muslimin, Jüdin, Christin, Schiitin oder Sunnitin ist.“
Das Buch:
Titel: „Nur wenn du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad“
C.H. Beck Verlag, München 2017
384 Seiten, 24,95 Euro
ISBN-13: 978-3406711671
Originaltitel: I Was Told To Come Alone: My Journey Behind the Lines of Jihad