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Kolumnen

Betroffenheitstourismus, die fehlende Ruhe und die Rolle des Glaubens

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Nach dem Absturz von Germanwings-Flug 9525 reisten mehrere Politiker zu der Unglücksstelle in Frankreich, Kamerateams im Schlepptau. Dieser Betroffenheitstourismus steht im Kontrast zur Ruhe und Distanz, die früher bei ähnlichen Katastrophen üblich war.

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Nach dem Absturz von Germanwings-Flug 9525 fällt der Betroffenheitstourismus vieler Politiker auf. Wo bleiben Ruhe und Distanz bei solchen Katastrophen?
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Die Nachricht vom Absturz des vollbesetzten Airbus des Lufthansa-Tochterunternehmens Germanwings war schon fürchterlich genug, aber die Erklärung, wie es dazu kam, hat dem Ereignis eine zusätzliche Dimension gegeben. Die Debatten werden noch lange Zeit andauern, aber schon jetzt lassen sich ein paar Beobachtungen rund um die Tragödie in den südfranzösischen Alpen machen und in der Folge Gedanken anstellen.

Da ist zunächst der Betroffenheitstourismus der Politiker festzuhalten, die Anreise des deutschen Außenministers und des Verkehrsministers zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Hilfskräfte vor Ort, alle Hubschrauber für die Bergungsaktion benötigt werden. Es riecht nach Wahlkampf. Da fallen neben der Blitzreise zum Unglücksort am Tage danach die sorgfältig inszenierten Auftritte der Bundeskanzlerin ins Auge, während andere europäische Spitzenpolitiker spontan, ohne ein Blatt Papier ihr Beileid ausdrückten, wie der unlängst ins Amt gekommene junge spanische König bei seinem Staatsbesuch in Paris, der unmittelbar nach Bekanntwerden des Unglücks abgebrochen wurde.

Wie sehr sich die Verhältnisse bei großen Unglücken im Laufe der Jahre verändert haben, lässt sich bei einem Vergleich mit einem Zugunglück ermitteln, bei dem im Mai 1971 im Sauerland über 40 Schulkinder ums Leben kamen. Photos von der Schule wurden damals im Fernsehen nicht gezeigt, das betroffene Bundesland Nordrhein-Westfalen rief einen Tag der Trauer aus, und der damalige Bundeskanzler Willy Brandt und der zuständige Verkehrsminister kamen sechs Tage später zu der Beerdigung der Toten, ein würdiges Großereignis, an dem neben den beiden Spitzenpolitikern aus dem nahen Bonn 10.000 Menschen teilnahmen.

Heutzutage sitzen Millionen vor den Fernsehern. Nachrichtenkanäle, zumal der amerikanische Sender CNN und britische Boulevardzeitungen mit ihren Internetausgaben veröffentlichen Informationen, die in den deutschen Medien zunächst zurückgehalten werden – wie man sieht, vergeblich. Wer will, weiss nahezu alles, kann Tag und Nacht im Meer der Spekulationen baden. Die Blitzreisen der Politiker, so der Eindruck, verschärfen noch das Tempo bei der Nachrichtengebung, die rasante Zeit, in der wir ohnehin leben, wird noch schneller. Manches wird dann im Fernsehen gesagt, was besser unterblieben wäre. Binnen Minuten wimmeln die Kanäle von sogenannten Experten. Einen Tag später ist dann alles anders, nahezu alle Hypothesen stimmen nicht mehr, ein einzelner Mensch hat Katastrophengeschichte geschrieben.

Germanwings-Absturz: Politiker müssen nicht nach Frankreich fliegen

Die Politiker als Kümmerer, die Bundeskanzlerin als Seelsorgerin der Nation in einem Land, in dem ca. 25 Millionen Menschen keiner Kirche angehören, Geistliche an den Flughäfen, bei den Familienangehörigen, die zum Schauplatz des Geschehens geflogen werden – ein merkwürdiger Kontrast, ein Bild, in dem vieles nicht zusammenpasst. Unwillkürlich drängt sich bei so viel Getöse ein Gedanke der Demut auf, die Bitte, leise zu sein, der Wunsch nach Stille.

Die Politiker müssen nicht nach Frankreich fliegen, denn die Menschen vor Ort zeigen die Feinfühligkeit, die jeder Mensch besitzt, der ein Herz hat. Man braucht dazu nicht einmal einen Dolmetscher. Gleiches sollte für die Angehörigen der Toten gelten, dass sie die Freiheit haben, die schrecklichen Stunden nach dem Ereignis mit anderen zu verbringen oder allein zu sein, in stillem Gebet. Nicht jeder braucht psychologische Hilfe. Auch die so schwer getroffene Schule in Haltern am See kommt mit der Situation am besten zu recht, wenn man sie allein lässt, wenn man es den Kindern, Lehrern und Eltern selbst überlässt, wie sie gemeinsam versuchen, wieder Boden unter den Füssen zu bekommen. In Radevormwald ist dies nach dem Zugunglück genauso gelungen wie in Erfurt, wo ein bis an die Zähne bewaffneter Schüler ebenso Schicksal für viele Menschen spielte wie der Pilot der Unglücksmaschine.

Trost kommt mit der Zeit. Wir schauen in einen Abgrund, nicht nur in den , in dem nach Trümmerstücken und Leichenteilen gesucht wird. Aber wir müssen weiter einander vertrauen. Die Technik, die Kontrollen, so zeigt das Ereignis, werden auch in Zukunft an Grenzen stoßen. Es gibt keine absolute Sicherheit. Innere Ruhe finden wir nur, wenn wir glauben.