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Politik

„Die Türkei ist aus Berliner Sicht kein Freund“

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Die Türkei nimmt die Spionage-Vorwürfe des „Der Spiegel“ ernst und prüfe sie, so ein Sprecher der regierenden AKP. In Deutschland sorgt der Fall derweil für ein geteiltes Presseecho. In einigen Zeitungen wird der BND sogar für seine mutmaßliche Spionage gelobt. (Foto: dpa)

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Die Türkei nimmt die Spionage-Vorwürfe des „Der Spiegel“ ernst und prüfe sie, so ein Sprecher der regierenden AKP. In Deutschland sorgt der Fall derweil für ein geteiltes Presseecho.
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Die Türkei hat verhalten auf einen Medienbericht reagiert, wonach der deutsche Auslandsgeheimdienst BND seit Jahren den Nato-Verbündeten überwachen soll. Man nehme die Angaben des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ ernst und prüfe sie, sagte der stellvertretende Vorsitzende der regierenden Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP), Mehmet Ali Şahin, am Sonntag: „Ich bin der Meinung, dass man diese Angelegenheit ernst nehmen muss. Unsere Regierung und unser Außenministerium werden die nötigen Untersuchungen im Bezug auf die Anschuldigungen des Magazins einleiten“.

Der türkischen Zeitung „Today’s Zaman“ zufolge veröffentlichte das türkische Außenministerium bis zu Sonntag Abend keine öffentliche Stellungnahme zu dem Fall. Die Zeitung „Sabah daily“ äußerte den Verdacht, dass auch türkische Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland von deutschen Sicherheitsbehörden überwacht worden sein könnten: „Außerdem besteht der Verdacht, dass Veranstaltungen in Deutschland, an denen Türken teilgenommen haben, besonders Veranstaltungen, an denen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan und Minister teilnehmen, deren Kontakte und die während den Veranstaltungen getätigten Telefongespräche überwacht worden sein könnten.“

Der Bundesnachrichtendienst überwacht nach „Spiegel“-Informationen die Türkei schon seit Jahren. Demnach wurde der deutsche Nato-Partner im derzeit noch aktuellen „Auftragsprofil“ der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 als offizielles Aufklärungsziel geführt. In Deutschland sprachen sich Politiker von Koalition und Opposition als Reaktion auf den Bericht gegen eine deutsche Überwachung des Nato-Partners aus. Zudem wurde vor weiterer Entfremdung zwischen Berlin und Ankara gewarnt.

Presseecho: Rechtfertigungen für Spionage in der Türkei

Auch die deutschen Medien kommentierten die vom „Der Spiegel“ veröffentlichten Anschuldigungen. In vielen Zeitungen wurde die mutmaßliche Spionage-Tätigkeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes in der Türkei gerechtfertigt. Hier einige Auszüge verschiedener Zeitungen.

„Thüringische Landeszeitung“: Es verstieße gegen unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen, wenn wir dem Bundesnachrichtendienst allzu enge Fesseln anlegten, im Ausland aktiv zu werden. Und es wäre geradezu fahrlässig, keine Erkenntnisse, auch mit elektronischen Mitteln, speziell über die Türkei zu sammeln. Schließlich sympathisiert die islamisten-freundliche Regierung in Ankara mit der Hamas im Gaza-Streifen und lässt die IS-Terroristen gewähren. Und die Datei mit dem abgehörten Gespräch der ehemaligen US-Außenministerin Clinton wurde brav vernichtet. Braver geht`s nicht in der Welt der Spionage. International belohnt wird so viel politische Korrektheit jedoch nicht!

„Mannheimer Morgen“: Die Türkei ist aus Berliner Sicht kein Freund, sondern allenfalls ein Partner und ein besonders problematischer obendrein. Ein Land, aus dem muslimische Hassprediger und kurdische Extremisten kommen, das als Einfallstor für Drogenkuriere und skrupellose Menschenschmuggler gilt und sich unter seinem neuen Sultan Recep Tayyip Erdogan sehr weit von der europäischen Wertegemeinschaft entfernt hat, muss der BND schon aus rein professionellen Erwägungen auf dem Schirm haben. Hier geht es nicht um türkische Befindlichkeiten, sondern um Deutschlands Sicherheit.

„Die Welt“: Im Falle Hillary Clinton ist wohl nicht systematisch und zielgerichtet abgehört worden, wie es die NSA bei der Kanzlerin gemacht hat. Und im Falle der Türkei müssen wir eingestehen, dass ein Nato-Partner, der um die Aufnahme in die EU kämpft, kein eng befreundetes Land sein muss. Die Freundschaft zu den USA gehört in eine andere Kategorie. Ein friedliches Land wie Deutschland braucht so ein Vorgehen nicht? Es ist genau andersherum. Den Frieden gibt es nicht umsonst, und auch ein friedliches Land wie Deutschland muss mit seinen Geheimdiensten zu Mitteln greifen, die nicht immer privaten Moralvorstellungen entsprechen. Das ist das tägliche Geschäft unseres Nachrichtendienstes – und wir sollten uns freuen, wenn er das professionell erledigt.

„Stuttgarter Nachrichten“: Als der amerikanische Geheimdienst ihr Handy belauschte, war Angela Merkel empört. Nun wurde bekannt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst türkische Regierungsmitglieder abgehört haben soll. Die deutsche Opposition wirft Merkel Scheinheiligkeit vor. Das ist abwegig. Dass die türkische und die deutsche Regierung weit voneinander entfernt sind hat Gründe: Die Menschenrechtsverstöße der Sicherheitsbehörden, das zweifelhafte Demokratieverständnis von Erdogan. Vor allem aber: Der Osten der Türkei grenzt an den Iran, den Irak und an Syrien. Das heißt: Mullahregime in Teheran, IS-Aktivitäten in Bagdad und Bürgerkrieg um Damaskus. Wenn der deutsche Geheimdienst da nicht alle Augen und Ohren offen hätte, hätte er versagt.

„Es grenzt an ein Wunder, dass sich Politiker überhaupt noch in die Augen schauen können“

„Neue Osnabrücker Zeitung“: Wirklich überraschend ist die Spionagetätigkeit des BND in der Türkei nicht. Fast alle westlichen Geheimdienste spionieren dort, warum also sollte der BND fehlen? So läuft eben das weltpolitische Spiel. Das Verhältnis der beiden Staaten wird darunter leiden, doch auch dieses Gewitter geht vorüber. Eine womöglich viel bitterere Niederlage sind die Enthüllungen für das Parlamentarische Kontrollgremium, das die Aktivitäten der Nachrichtendienste im Blick haben sollte. Die angedachten Reformen greifen zu kurz. Entweder muss das Gremium grundsätzlich mehrheitlich mit Politikern der Opposition besetzt werden, oder die Mitglieder müssen eigenständig die Arbeit der Geheimdienste prüfen dürfen. Sonst wird die Überwachung der Überwacher nie funktionieren.

„Märkische Allgemeine“: Der neue Skandal liegt nicht allein darin, dass die Deutschen sich ein eigenes Bild machen wollen von der politischen Situation in der Türkei. Das wahre Problem liegt in der Scheinheiligkeit, mit der die Bundesregierung auch ein Jahr nach den NSA-Enthüllungen die Aktivitäten der eigenen Dienste ausblendet. Der BND fühlt sich im Nahen Osten nämlich ähnlich wenig an das Recht auf Privatsphäre und freundschaftliche Beteuerungen unter Staatenlenkern gebunden wie die NSA in Deutschland. Ein demokratisches Gemeinwesen braucht für derartige Operationen verbindliche Regeln – so fordert es Deutschland seit Monaten gegenüber Washington. Solange die deutsche Regierung diese Debatte nicht führt, ist sie zum Stillhalten verdammt.

„Main-Echo“: Wenn es wesentliche Schlussfolgerungen aus der BND-Aktion gibt, dann folgende: Im politischen Alltag ist sich jeder Staat selbst der nächste. Im digitalen Zeitalter ist Spionage flächendeckendes und permanentes Ausspähen, also Alltag. Es grenzt an ein Wunder, dass sich Politiker bei Staatsbesuchen überhaupt noch in die Augen schauen können. Was wiederum zur wichtigsten Erkenntnis führt: Der traditionelle Volksmund „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ hat nach wie vor Bestand. Und wird ihn wohl auch behalten. (dpa/dtj)