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Der Stolz der Nation

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Die Türk Silahlı Kuvvetleri (TSK) sind Präsident Erdoğans neuestes Prestigeprojekt. Um die türkischen Streitkräfte  aufzurüsten, verprellt er, wenn nötig, auch engste Partner. Ein Blick hinter die Kulissen.

„Wir sind fest entschlossen, die unsere nationale Sicherheit bedrohenden Terrornester in Syrien zu zerstören und zu vertreiben.“ Mit gewohnt markigen Worten wetterte Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegen Gegner seiner Nation, als er Anfang April zu Gast in Moskau war und von einem abgestimmten Vorgehen mit Russland in Syrien sprach. Mit der wiederholt zur Schau gestellten Nähe zu Russland verprellte er damals bereits einige Verbündete.

Doch als Staatsoberhaupt verfügt er allein über die türkischen Streitkräfte (Türk Silahlı Kuvvetleri, kurz: TSK). NATO-Angaben zufolge bildet die TSK mit rund 386.000 Soldaten nach den USA (1,3 Millionen Soldaten) die größte Armee innerhalb des Bündnisses – noch vor den Atommächten Frankreich (208.000 Soldaten) und Großbritannien (145.000 Soldaten). Auch die Bundeswehr ist im Vergleich deutlich kleiner: 183.000 Soldaten zählt sie. Wenn Erdoğan also über die TSK spricht, ist sein Selbstbewusstsein nicht unbegründet.

Schrumpfkur nach Ende des Kalten Krieges

Wie die meisten Armeen der NATO schrumpften die türkischen Streitkräfte jedoch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion um mehr als 50 Prozent. Ihre heutige Truppenstärke ist im Vergleich zu den 1990er-Jahren gering. So lag sie 1995 noch bei 805.000, sank aber bis 2015 auf 385.000. Durch die im Zuge des Putschversuches erfolgte Entlassungswelle sank ihre Zahl nochmals um 25.000 und erreichte 2016 einen Tiefstand.

Bereits im Folgejahr wurde die Personallücke allerdings geschlossen. Während die Bundeswehr seit Jahren mit Nachwuchsmangel und Personalproblemen zu kämpfen hat, verfügt die türkischen Armee über einen entscheidenden Vorteil: In der Türkei herrscht nach wie vor Wehrpflicht, sodass sie im Gegensatz zur Bundeswehr keine millionenschweren Werbekampagnen durchführen und Youtube-Marketing-Serien drehen müssen, um Nachwuchs zu rekrutieren. So verwundert es nicht, dass satte vier Fünftel des Personals der TSK im Zuge der Wehrpflicht einberufen wurden.

Truppenstärke ist nicht alles

In Zeiten von Cyberangriffen und Drohnenkriegen spielt die Truppenstärke einer Armee allerdings eine untergeordnete Rolle. So ist das Budget der Bundeswehr laut NATO-Angaben trotz deutlich weniger Soldaten mit 50,2 Milliarden US-Dollar mehr als doppelt so hoch wie das der türkischen Armee mit 19 Milliarden US-Dollar. Und das, obwohl der türkische Staat zwischen 2007 und 2017 seine Rüstungsausgaben nach Herausrechnung der Inflation um knapp 50 Prozent steigerte, während bei der Bundeswehr gespart wurde. Dem Friedensforschungsinstitut SIPRI zufolge kletterte die Türkei dadurch auf der Rangliste der Staaten mit den höchsten Rüstungsausgaben auf Platz 16.

S-400-Bestellung polarisiert

Die Mehrausgaben der Bundeswehr fließen indes in Technik und Ausrüstung, die der türkischen Streitkräfte bislang überlegen ist. Der türkische Generalstab ist sich dieser Unterlegenheit bewusst. Deswegen plant die Heeresleitung, die TSK in den kommenden Jahren personell zu verschlanken und die Einsparungen beim Personal in neue Ausrüstung zu investieren. Ziel sei es, eine kleinere, flexiblere, aber dafür schlagkräftigere Armee zu schaffen. 

Ein gegenwärtiges Beispiel bildet das russische Luftabwehrsystem S-400*, dass Russland im Verlaufe dieses Jahres an die Türkei ausliefern wird. Ursprünglich sollten überdies 100 Exemplare des US-amerikanischen Tarnkappenjets F-35 die Luftwaffe modernisieren. Laut einem Bericht der „WELT“ verhängten die USA jedoch wegen der S-400-Bestellung bei Russland einen Lieferstopp und drohen mit weiteren Sanktionen. Eine Konfrontation, die in den kommenden Wochen das NATO-Bündnis weiter belasten wird.

*Anm. d. Red.: DTJ-Online hat sich der Kontroverse in einem weiteren Artikel gewidmet.