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Gesellschaft

Erstaufnahme für Asylbewerber platzt aus allen Nähten

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Mehr als 9000 neue Asylbewerber in einem Monat – das stellt die Einrichtungen für die Erstaufnahme auf eine harte Probe. In der Unterkunft in Karlsruhe herrschen bedrückende Zustände. (Foto: dpa)

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Asylbewerber stehen am 15.01.2014 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in einer Warteschlange.
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Flüchtlinge in Not, mitten in Deutschland: Die steigende Zahl von Asylbewerbern bringt die Landeserstaufnahme (LEA) in Karlsruhe an ihre Grenzen. „Wenn die Leute keine Matratze, kein Bett oder kein warmes Wasser haben, dann ist das Asylverfahren erst einmal zweitrangig”, sagt Beate Deckwart-Boller, die für das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche als Beraterin in der Einrichtung arbeitet.

Im vergangenen Jahr stellten in Deutschland etwa 110 000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl, 70 Prozent mehr als 2012. Sie werden nach einem festen Schlüssel auf die Bundesländer verteilt und für wenige Wochen in den Einrichtungen für die Erstaufnahme untergebracht – bis zu ihrer Verlegung in die Stadt- und Landkreise. In der für Baden-Württemberg zuständigen Einrichtung in Karlsruhe trafen allein im Dezember 1353 Asylbewerber ein, mehr als dreimal so viele wie vor zwei Jahren. Die Unterkunft sei aber nur für 300 bis 400 Menschen geplant gewesen, erklärt Deckwart-Boller.

Die Zahlen verbergen Schicksale wie das der 29-jährigen Souad. Mit ihrem im Dezember geborenen Sohn lebt die junge Mutter aus Algerien in einem Achtbettzimmer, zusammen mit anderen alleinstehenden Müttern. „Hier gibt es kein warmes Wasser, ich kann mein Baby nur mit Feuchtigkeitstüchern waschen”, sagt Souad. Ihre Reise von Algerien nach Karlsruhe schildert sie als langen Irrweg. Sie sei über weite Strecken zu Fuß aus der Türkei gekommen, wo der Vater des Säuglings sich gegen das Kind gestellt habe, sagt sie.

Jetzt blickt sie strahlend auf ihren in Karlsruhe geborenen Sohn und erzählt von ihrer Hoffnung, irgendwann zu ihrer Schwester nach Mainz zu gelangen: „Inschallah – so Gott will.”

Leben unter schlimmsten Bedingungen

Aus den Gemeinschaftstoiletten dringt beißender Gestank. Flure und Treppenhäuser sind verschmutzt. Wo die Gänge der langgestreckten Wohngebäude enden, sitzen Asylbewerber auf Matratzen. In den Blicken der Kinder liegt die Sehnsucht nach unbeschwertem Spiel, in den Blicken der Erwachsenen Depression.

„Die Benutzung der Flure erfolgt, wenn nachts zu viele Neuankömmlinge nicht gleich untergebracht werden können, auch um die Nachtruhe der Bewohner nicht ständig zu stören”, erklärt Abteilungspräsident Manfred Garhöfer vom Regierungspräsidium Karlsruhe zur Unterbringung auf dem Gang. Wegen Engpässen in der Unterkunft seien in Karlsruhe seit Mitte 2012 neun Außenstellen angemietet worden. „Nur so kann Obdachlosigkeit vermieden werden.”

In der Kantine und vor der Ausgabe des Taschengelds für jeden Asylbewerber bilden sich lange Warteschlangen. Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma achten auf die Einhaltung der Bestimmungen, auch Polizei ist präsent.

„Es fehlt der Wille, die Leute anders aufzunehmen”

Die Kontrollen an der Pforte und der Zaun um das Gelände dienten dem Schutz der Bewohner, sagt der Leiter der LEA, Konrad Schaub. Wegen der Zunahme der Asylbewerberzahlen sei die Arbeitsbelastung für jeden Mitarbeiter enorm gestiegen, erklärt der Verwaltungsbeamte. „Wir versuchen trotzdem, jedem Einzelschicksal gerecht zu werden.”

Zusammen mit drei Kolleginnen und einem Kollegen ist Deckwart-Boller für alle Nöte in der Unterkunft ansprechbar. Die fünf beraten auch im Asylverfahren. Ihre Stellen finanziert das Land, das Projekt ist zunächst bis Ende 2014 befristet. Im Dezember hat der Stuttgarter Landtag ein neues Flüchtlingsaufnahmegesetz verabschiedet, wonach die Beratertätigkeit von Diakonie, Caritas und dem Freundeskreis Asyl in der LEA fest verankert werden soll. Zur Entlastung der LEA sucht das Land nach Angaben von Innenminister Reinhold Gall (SPD) nun einen zweiten Standort.

Dies würde die angespannte Lage etwas verbessern, „so dass dann nicht mehr so viele Leute auf engem Raum zusammenleben müssen”, sagt Sozialpädagogin Deckwart-Boller. „Aber es fehlt der Wille, die Leute anders aufzunehmen.” (dpa/dtj)