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Politik

„Merkel hat es allen Männern gezeigt“

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Gregor Gysi sprach mit dem DTJ über die Leidensfähigkeit der SPD, Merkels Erfolg und das Interesse seiner Partei an der Gülen-Bewegung. Und über Eitelkeit in der Politik. (Foto: dpa)

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Gregor Gysi sprach mit dem DTJ über die Leidensfähigkeit der SPD, Angela Merkel und das Interesse seiner Partei an der Gülen-Bewegung.
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Gregor Gysi ist einer der wenigen DDR-Politiker, der es geschafft hat auf politischer Ebene in die erste Reihe der BRD aufzusteigen. Er wirkte bei der Umgestaltung der PDS (Nachfolgepartei von SED), zur Linkspartei mit und sitzt seit nunmehr über 20 Jahren im Bundestag. DTJ-Online sprach mit Gysi über die Beziehung seiner Partei zu der SPD, das Erfolgsrezept Merkels und über das integrationspolitische Lieblingsthema der Linkspartei: Die Gülen-Bewegung.

Obwohl weder CDU/FDP noch SPD/Die Grünen die nötige Mehrheit haben, möchte keine dieser Parteien sie als Koalitionspartner. Liegt es vielleicht daran, dass Ihre Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird?

Nein daran liegt das nicht, auch wenn diese vollkommen ungerechtfertigte Beobachtung uns im Wahlkampf und im politischen Alltag durchaus benachteiligt. Aber bei der Koalitionsfrage liegt es vor allem daran, dass sich die SPD immer so verhält, wie die CDU es will. Die CDU grenzt und im Bundestag aus, um die SPD zu disziplinieren und die lässt sich auch disziplinieren. Außerdem ist die SPD unbegrenzt leidensfähig und verliert eher noch mal 8 Wahlen, als mit der Linken über eine Politikwechsel zu sprechen.

Was ist denn der Grund dafür?

Dahinter stehen letztlich inhaltliche Fragen. Was will die SPD? Will sie weiter Kriegseinsätze der Bundeswehr, dann sind wir der falsche Partner. Oder sagt sie, wir möchten keine Einsätze mehr, dann sind wir der richtige Partner. Will sie weiterhin die falschen Euro-Rettungsschirme, den Süden Europas ruinieren und letztlich dann auch unserer Bevölkerung schaden? Oder will sie endlich diese Politik überwinden und in Richtung Marshall-Plan gehen, also eine ganz andere Strategie zur Rettung des EURO fahren.

Wenn sie letzteres will, dann muss sie sich an uns wenden. Wenn sie weiter bei den falschen Euro Rettungsschirmen bleiben will, dann soll sie sich an die anderen wenden. Will sie weiter die Senkung des Rentenniveaus und die Rente um zwei Jahre kürzen, dann sind wir der falsche Partner.

Und wenn sie das alles das nicht will…

… dann sind wir der einzige Partner. Will sie weiter die prekäre Beschäftigung in diesem Umfang und in diesem Ausmaß. (Ich darf Sie daran erinnern von allen Europäischen Ländern gibt es mit Litauen nur ein Land mit einem größeren Anteil an gering verdienenden Beschäftigten. Dann kommt schon Deutschland.) Oder möchte sie dies überwinden? Dasselbe gilt natürlich auch für Hartz IV und für die Lohn- und Rentenangleichung zwischen Männern und Frauen und zwischen Ost und West. Ich habe Ihnen die wichtigsten Punkte genannt. Wenn die SPD sich da inhaltlich auf unsere Position zubewegte, wäre es völlig unlogisch, dass sie liebäugelt, mit der Union und FDP zu koalieren. Wenn sie sich nicht auf uns zubewegte, sondern bei der anderen alten Politik bleiben will, dann bliebe ihr nur der Sprung auf den Schoß von Frau Merkel. Denn das ist mit uns sowieso nicht machbar. Deshalb sage ich: es ist eine inhaltliche Frage. Ein bisschen Mumm gehört natürlich auch dazu angesichts der kulturellen Entwicklung der Bundesrepublik. Die SPD hat vieles, aber nicht besonders viel Mumm.

Sie haben das jetzt so dargestellt als dass der linke Block in Deutschland zerstrittener ist als das politisch rechte Lager. Überlassen sie mit dieser Haltung die Regierung nicht automatisch den konservativen Kräften?

Das ist leider richtig, jedenfalls im Moment. Das liegt aber daran, dass es in der alten Bundesrepublik einen militanten Antikommunismus gab, was Folgen hat bis heute. Deshalb gibt es auch die Schwierigkeiten im Umgang mit uns.

Dieser Antikommunismus hatte mindestens zwei Gründe: Zum einen wurde nach 1945 der Staatsapparat Hitlerdeutschlands im Wesentlichen übernommen. Den Staatsdienern wurde gesagt, ihr müsst euch den Antisemitismus abgewöhnen. Außerdem müsst ihr demokratisch werden. Antikommunistisch aber dürft ihr bleiben. Zum anderen haben sich die DDR und die SED dann in einer Weise entwickelt, die dem Antikommunismus im Westen durchaus Nahrung gab. Deshalb hat sich die Bundesrepublik Deutschland in diesen Jahrzehnten anders entwickelt als Frankreich, Italien, Portugal und andere Länder. Eine Partei links von der Sozialdemokratie hatte in der alten Bundesrepublik niemals eine reelle Chance, auch nur in die Nähe der 5 Prozent Hürde zu kommen. DIE LINKE aber hat 2005 allein in den alten Bundesländern 4,9 Prozent der Stimmen erreicht, 2009 dann sogar 8,7 Prozent. Auch jetzt stehen wir bei den Umfragen im Westen bei 5 bis 6 Prozent. Das ist für die alte Bundesrepublik eine große Veränderung. Natürlich bekommen wir im Osten noch mehr Zustimmung.

Herr Gysi Sie sind einer der wenigen Politiker, der den Wechsel von der DDR zur Bundesrepublik Deutschland miterlebt und es erfolgreich geschafft hat in der neuen politischen Landschaft Platz zu finden. Eine andere Politikerin ist Frau Merkel. Wer ist erfolgreicher sie oder Frau Merkel?

Na ganz klar ich. (lacht dabei) Natürlich ist sie erfolgreicher und wird zugleich unterschätzt.

Sie kennen Sie ja gut. Warum wird sie unterschätzt?

Das liegt an der Struktur, wie Männer denken, fühlen und handeln. Wenn man aus dem Osten kam, war man ja erstmal immer irgendwie verdächtig. Dann gab es diesen großen Finanz- und Spendenskandal der Union. Und alle aus den alten Bundesländern hingen in der Affäre mit drin. Man konnte überhaupt nur unschuldig sein, wenn man aus dem Osten kam. Und das war sie. Deshalb haben sich die Herren gedacht, nun machen wir sie zur Parteivorsitzenden, ein Jahr müssen wir es schon aushalten, maximal zwei Jahre und dann schicken wir Mutti wieder nach Hause. So wie Kerle eben so denken. Dann hat Mutti es ihnen gezeigt und sie nach Hause geschickt. Friedrich Merz ist sie zu erst losgeworden, dann Roland Koch und schließlich auch Norbert Röttgen. Da ist sie in jeder Hinsicht unterschätzt worden. Und dann hat sie natürlich zwei gute Eigenschaften, das muss ich ihr lassen, die sie in der Bevölkerung beliebt machen, das eine ist: Sie ist überhaupt nicht eitel.

Was ja für Politiker eigentlich ungewöhnlich ist.

Ganz ungewöhnlich. Ich kenne auch keinen männlichen Politiker der uneitel ist. Also zumindest keinen in der ersten Reihe.

Sind sie auch eitel?

Ja. Eitelkeit finde ich durchaus normal, wenn man in der ersten Reihe der Politik ist genauso, wenn man in der ersten Reihe der Kunst und Kultur ist und der Medien. Die entscheidende Frage ist: beherrscht man seine Eitelkeit oder wird man von ihr beherrscht? In dem Moment, in dem man von ihr beherrscht wird, ist man grottenschlecht. In diesem Moment braucht man gute Freunde, Verwandte, die dir sagen, du hast die Grenze überschritten. Das hättest du nie machen dürfen, das hast du nur aus Eitelkeit gemacht, obwohl es politisch falsch war. Da ärgert man sich natürlich, weist das zurück, aber denkt trotzdem darüber nach und versucht, sich wieder zu korrigieren.

Und was ist der zweite Erfolgsfaktor von Merkel?

Sie ist materiell überhaupt nicht interessiert. Das ist für sie gar kein Maßstab.

Wie ist denn aus einer Reformkommunistin Merkel innerhalb von sechs Monaten eine Christdemokratin Merkel geworden?

Also ich werde das nicht an ihrem Beispiel erklären, sondern sage ihnen, dass im Osten die Parteimitgliedschaft mit Ausnahme der Mitgliedschaft in der PDS eher zufälliger Natur war. Es gab keine Tradition und keine Bindung diesbezüglich. Das hing oft einfach von der Person ab, die man getroffen hat. War der- oder diejenige von der SPD und sympathisch, dann ist man zur SPD gegangen. Dasselbe bei der Union. Es war nicht so wie im Westen, dass es lange Familientradition gab.

Nach der Wende hat die SPD keine alten SED-Leute aufgenommen. War das ein Fehler?

Ja. Ein entscheidender Fehler sogar. Von den Mitgliedern der SED wollten viele in die SPD, aber die Union hat gesagt, das geht nicht und die SPD hat eingelenkt. Hätte die SPD damals alle SED-Leute aufgenommen, dann hätte sie heute im Osten eine kräftige Parteistruktur. Ein typischer Fehler der SPD.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Migrationspolitik in Deutschland?

Das Problem besteht darin, dass die Union keinen wirklichen kulturellen Zugang zu den Problemen der Migrantinnen und Migranten hat, weil sie sich weigert anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die Bundesregierung will zwar Fachkräfte, weil die in Deutschland zunehmend fehlen, aber sie berücksichtigt viel zu wenig, dass dies Menschen sind mit einer eigenen Kultur, Traditionen, religiösen und familiären Bindungen. Zudem finde ich es falsch, dieses Problem vor allem auf Kosten der so genannten dritten Welt zu lösen, die doch die Fachkräfte für ihre eigene Entwicklung braucht.

Eine von Ihren migrationspolitischen Themen ist die Gülen-Bewegung. Ihre Partei hat auf Landes- und Bundesebene mehrere kleine Anfragen gestellt. Woher kommt dieses Interesse?

Es gibt Abgeordnete, die sich dafür interessieren.

Sind Sie mit den Antworten zufrieden?

Nein. Ich bin nie mit den Antworten der Regierung zufrieden