Kolumnen
„Dies ist ein Überfall!“ – Hizmet-Schulen im Fokus der Medien
Wie würden Eltern und Lehrer an Ihrer örtlichen Grundschule reagieren, würden Journalisten ohne Erlaubnis auf das Gelände eindringen, filmen und Kinder zu Stellungnahmen drängen? Für deutsch-türkische Privatschulen ist das mittlerweile Alltag. (Foto: cihan)
Wenn Journalisten über deutsche Schulen berichten wollen, gibt es klare Regeln. Man meldet sich beim Schulträger, also einer staatlichen Behörde oder bei der Schulleitung, telefonisch an und berät über die Themensetzung. Kommt es zu einer Einigung, erscheint man zum verabredeten Zeitpunkt im Sekretariat. Filmen und Fotografieren bedürfen gesonderter Verabredungen. Selbstverständlich können es die Lehrer einer Schule ablehnen, mit Redakteuren zu sprechen, ganz zu schweigen von Interviews oder Fotos von Minderjährigen. Denn dazu bedarf es der Zustimmung der Eltern. Instinktiv verhalten sich die meisten Schulleiter ablehnend, wenn Interviewwünsche von Journalisten kommen, die nicht ständig über Bildungs- und Schulthemen schreiben.
Für die Schulträger deutsch-türkischer Schulen, ihr Führungs- und Lehrpersonal, die ihnen anvertrauten Kinder, gilt dieser „Schutzraum“ offenbar nicht. Wann immer von der Gülen-Bewegung die Rede ist – und das war in letzter Zeit oft genug der Fall – werden die sogenannten Türken- und Gülen-Schulen zum Freiwild sensationsgieriger Reporter. Die Autorin eines Artikels in der ‚Welt am Sonntag‘ brüstete sich unlängst mit den Regelverletzungen, die man beim überfallartigen Besuch einer Schule in Berlin-Spandau beging.
ARD-Fernsehredakteure sowie Journalisten renommierter Zeitungen und Magazine setzen deutsch-türkischen Dialogvereinen die Pistole auf die Brust, indem sie ultimativ Stellungnahmen zu lächerlichen Vorgängen an anderen Schulen der Deutsch-Türken im Bundesgebiet einfordern. In Frankfurt am Main traf ein Büroleiter beim Betreten seiner Räume einen Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks an, der unangemeldet einfach erschienen war. In Mannheim und in Freiburg bewegten sich eine freie Mitarbeiterin der FAS bzw. eine Volontärin der Badischen Zeitung hart an der Grenze des Zumutbaren, als sie ultimativ Gespräche mit den Schulleitungen und Zugang zu den Schulräumen verlangten.
Wenig Ahnung, dafür umso mehr Meinung
Wenn der mediale „Beschuss“ einige Tage andauert, wie zuletzt am Urselbach-Gymnasium in Frankfurt am Main, werden auch die Kommunalpolitiker, am Ende sogar die Innenminister nervös. Obwohl in den deutsch-türkischen Schulen nach den Lehrplänen des jeweiligen Bundeslandes unterrichtet wird, es dort im Gegensatz zu evangelischen und katholischen Schulen in freier Trägerschaft keinen Religionsunterricht gibt, heißt es dann sofort: Wir müssen uns mit der Gülen-Bewegung befassen. Aber es liegen keine Erkenntnisse deutscher Verfassungsschutzbehörden gegen die Bewegung vor, schon gar nicht zum Schulunterricht an deutsch-türkischen Privatschulen.
Zu den gravierendsten Einwänden gegen die allermeisten journalistischen Beiträge über sogenannte Gülen-Schulen – die es in Wirklichkeit nicht gibt – gehört, dass die Berichterstatter in der Regel keine Kenntnisse vom Schulwesen der Mehrheitsgesellschaft haben. Somit fehlt ein entscheidendes Kriterium: der Vergleich. Und selbst, wenn es Pannen und Mängel in der Unterrichtsqualität von deutsch-türkischen Privatschulgründungen geben sollte, wie zuletzt aus Hamburg berichtet wurde, wäre es ein Gebot der Fairness, einzuräumen, dass Derartiges auch an Schulen der Mehrheitsgesellschaft vorkommt – im Zweifel sogar in wesentlich größerem Umfang.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf
Eine Schulgründung kann – zumindest im privaten Bereich – auch scheitern. Private Träger können nicht notfalls auf Steuermittel zurückgreifen, um ihr Projekt zu retten, wenn es schlecht läuft. Quantifiziert man am Ende die Meldungen über echte oder vermeintliche Missstände an den Schulen der Deutschtürken, muss man zu dem Schluss kommen, dass sie in erstaunlichen Ausmaß nicht nur funktionieren, sondern alles in allem sehr gut laufen. Sie sind bereits jetzt eine echte Alternative zum staatlichen Schulwesen.
Somit ist am Ende das Schweigen und Abseitsstehen der Mehrheitsgesellschaft noch erschreckender als die bemerkenswerten Fehlleistungen der Journalisten, die die Schulen „überfallen“, die Kinder filmen und mit Aufnahmegeräten unerlaubt Interviews mit Jugendlichen aufzeichnen. Denn es gibt mittlerweile zu viele Menschen, die wissen, wie gut und zuverlässig die Schulen der Deutschtürken funktionieren, mit welchem Idealismus sie betrieben werden. Aber zu wenige sagen das laut und öffentlich.
Die Treibjagd auf Schulen der Deutschtürken ähnelt am Ende daher der Hatz auf Sozialdemokraten und Katholiken im sogenannten „Kulturkampf“ während der Bismarck-Zeit. Das ist 150 Jahre her. Die Funktion des preußischen Polizeibeamten nehmen nun junge deutsche Journalisten ein. Es gibt Zeitungen und Medienhäuser, die dabei nicht mitmachen. Aber die, die es tun, tragen Verantwortung, die über einen Beitrag in einer Provinzzeitung und ein Acht-Minuten-Stück in einem ARD-Fernsehmagazin hinausreicht.
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