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Politik

Ist das Problem gelöst, wenn man sagt es war Völkermord?

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Am 24. April werden weltweit Armenier den 100. Jahrestag der „großen Tragödie“, die ihren Osmanischen Vorfahren widerfahren ist, gedenken. Der Streit über die Bezeichnung der Ereignisse von 1915 kocht derzeit wieder hoch. Ein Kommentar aus der Türkei zur aktuellen Debatte.

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Sahin Alpay
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Am 24. April werden weltweit Armenier den 100. Jahrestag der „großen Tragödie“, die ihren Osmanischen Vorfahren widerfahren ist, gedenken. In den vergangenen Jahren sind zwar positive Schritte Richtung türkisch-armenischer Versöhnung unternommen worden. 100 Jahre danach liegt eine Versöhnung jedoch in weiter Ferne.

Während des Ersten Weltkrieges sind circa 1,2 Millionen Osmanische Armenier aus ihrer Heimat vertrieben worden. Während dieser Vertreibung, von welcher die in Istanbul und Izmir lebenden Armenier verschont blieben, sind mindestens die Hälfte ermordet oder an Hunger und Epidemien gestorben. Ohne Zweifel ist dies eine der größten Tragödien, welche die Geschichte schrieb. Alle Armenier unter dem Vorwand zu bestrafen, dass nationalistisch-separatistische Gruppen einen Aufstand gegen den Staat durchgeführt hätten, kann nicht als Rechtfertigung herangezogen werden. Diese Gruppen repräsentierten nicht die Gesamtheit der Armenier. Die Türkische Republik ist gefordert ihre jetzige Haltung, als ob nichts geschehen sei, aufzugeben und sich dem von der Osmanischen Regierung begangenen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu stellen. Der Schritt des damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan im letzten Jahr, den Nachkommen der umgekommenen Armenier sein Beileid auszusprechen, war zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Jedoch kein ausreichender. Weitere Schritte sollten eine Entschuldigung bei den Armeniern, die Entschädigung beschlagnahmten Eigentums und die Verleihung der türkischen Staatsbürgerschaft an diejenigen Armeniern, die ihre Wurzel in Anatolien haben, sein – falls diese es wünschen.

Die Vorbedingung zur Versöhnung: „Völkermord“

Die nationalistischen Armenier nennen als Vorbedingung für die armenisch-türkische Versöhnung die Anerkennung der Tragödie als „Völkermord“. Und das obwohl nicht ganz klar ist, ob die Ereignisse von 1915 überhaupt dem Tatbestand des Völkermordes entsprechen. Denn die in der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes aus dem Jahre 1948 formulierte Definition ist schwammig und hat auf keinen Fall rückwirkende Gültigkeit. Das was den Armeniern widerfahren ist, ist nur eine der Tragödien in der Zerfallsphase des Osmanischen Reiches. Sie mit dem Genozid an den Juden zu vergleichen ist weit hergeholt.

Die armenischen Separatisten haben während des Krieges mit den Russen zusammengearbeitet und mit dem Ziel der Unabhängigkeit Aufstände durchgeführt.

Viele Türken und Kurden, darunter auch Beamte, haben sich bemüht, Armeniern bei ihrem Kampf ums Überleben behilflich zu sein. Andere Armenier wiederum haben sich retten können, indem sie entweder nach Russland flohen oder die Religion wechselten. Auch Türken und Kurden wurden ermordet – von nationalistischen Armeniern.

Warum nicht mehr Meds Yeghern (Große Katastrophe) sondern „Völkermord“?

Aus diesen Gründen akzeptiert die überwiegende Mehrheit der Türken es nicht, was den osmanischen Armeniern widerfahren ist als „Völkermord“ zu bezeichnen. Die Zahl derjenigen, die sich für eine Entschuldigung für die Tragödie, an die sich die Armenier bis 1965 als „Meds Yeghern“,  „Große Katastrophe“ erinnerten, auszusprechen, nimmt aber zu.

Das Beharren auf „Völkermord“ erleichtert die Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern nicht, es erschwert sie. Beschlüsse der westlichen Parlamente, die den „Völkermord an den Armeniern“ anerkennen und Gesetze, welche die Leugnung unter Strafe stellen, werden von der türkischen Öffentlichkeit als Beleidigung und Erpressung wahrgenommen.

Leider ist das Abkommen zwischen Ankara und Eriwan aus dem Jahre 2009, welches die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen und Öffnung der Grenzen vorsieht, nur auf dem Papier geblieben. Es darf nicht übersehen werden, dass der Grund hierfür die andauernde Besatzung eines Fünftels des aserbaidschanischen Staatsgebietes durch Armenien ist und die Tatsache, dass fast eine Million Aserbaidschaner in ihrem Land zu Flüchtlingen geworden sind.

Die Bemühungen derjenigen, die den innigen Wunsch in sich tragen, dass es zu einer Normalisierung in der türkisch-armenischen Beziehung kommen möge, sollten sich nicht um die Frage der Anerkennung des „Völkermordes“ drehen, sondern um die Umsetzung des Abkommens. Wie der Journalist und Experte der türkisch-armenischen Beziehungen, Thomas de Waal, zutreffend formuliert: „Es ist notwendig, dass die Armenier ihre Vorfahren endlich begraben und der türkische Staat das Schrecken, das den Vorfahren der Armenier widerfahren ist, anerkennt. Diese Schritte auf dem Weg der Versöhnung werden, so bin ich überzeugt, zur Folge haben, dass die Türkei sich zu einer offeneren Gesellschaft entwickelt und sich seiner Geschichte stellt. Falls das gelingen sollte, wird der Rest (des Versöhnungsprozesses) folgen.“ (“The G – Word: The Armenian massacre and the politics of genocide / Das G-Wort: Das Armenier-Massaker und die Völkermord-Politik,” Foreign Affairs, Jan. – Feb. 2015.)