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Bildung & Forschung

Jeden Morgen Atatürk-Büste angespuckt?

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In den letzten Wochen und Monaten sind der muslimische Prediger Fethullah Gülen und die um ihn herum entstandenen Hizmet-Bewegung ein Dauerthema in deutschen Medien. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei am 15. Juli sind laut Stiftung Dialog und Bildung, dem Ansprechpartner der Bewegung in Deutschland, über 15.000 Artikel in deutschsprachigen Medien veröffentlicht worden, in denen der Name Gülen oder Hizmet-Bewegung mindestens einmal vorkommen.

Ahmet Daşkın von der Stiftung sagt, dass in der ersten Phase nach dem Putsch ein großes Bedürfnis bestand, über Hizmet, die auch Gülen-Bewegung genannt wird, zu berichten: „Die erste Lesart der Geschehnisse war ein Machtkampf im religiösen Milieu. Die Türkei stand im Fokus. In den großen Nachrichtenredaktionen hörte man aber scheinbar zum ersten Mal etwas über die Bewegung.“

Nicht nur die großangelegte Säuberungswelle, die in erster Linie tatsächliche oder vermeintliche Anhänger Gülens traf, war ein Thema in den deutschen Medien. Da der lange Arm des türkischen Staates auch nach Deutschland reicht, wird die Bewegung auch hierzulande von türkischen Stellen verfolgt: „Diese Verfolgung und Denunziation durch Teile der deutsch-türkischen Community ist ein weiterer Schwerpunkt in der Berichterstattung über Hizmet, frei nach dem Motto ‚bad news are good news'“, erklärt der Mitarbeiter.

Auch das monatliche Stadtmagazin Stadtrevue aus Köln hat in seiner aktuellen Ausgabe Gülen und der Hizmet-Bewegung einen Artikel gewidmet. Das bietet sich auch an, nicht nur weil in Köln viele Türken leben, sondern weil sich auch eines der deutschen Hizmet-Schulen in Köln befindet.

Der Artikel geht der Frage nach, ob die Schulen der Hizmet-Bewegung eine religiöse Agenda verfolgen und greift dabei auch auf die Aussage einer ehemaligen Schülerin Namens Sevgi Vatansever-Erxlebe zurück. Die heute 46-jährige Türkin hat nach eigenen Angaben jedoch nicht eine Schule in Deutschland, sondern eine in Istanbul besucht, und zwar im Schuljahr 1982/83.

Es ist nichts gutes, was Vatansever-Erxlebe zu berichten hat. Als Leser denkt man sofort an eine Schule der Taliban oder einer anderen extremistischen und gewaltbereiten Organisation: „Gegen 4 Uhr früh mussten wir aufstehen, uns nach dem Morgengebet in einer Reihe aufstellen und eine Atatürk-Statue anspucken“, wird sie im Artikel zitiert. Auch ein Kopftuch und einen langen schwarzen Mantel habe sie von der Schulleitung bekommen, der Unterricht habe hauptsächlich aus Koran-Lektüre bestanden.

Unsere Recherchen haben ergeben, dass es im Schuljahr 1982/83 Istanbul nur eine Schule gab, die der Hizmet-Bewegung zuzuordnen ist: Das private Fatih-Gymnasium im gleichnamigen Stadtteil Fatih. Das kuriose an der Geschichte ist, dass die Schule ausschließlich ein Gymnasium für männliche Schüler war. Also kann Frau Vatansever-Erxleben in dem genannten Jahr eigentlich keine Hizmet-Schule in Istanbul besucht haben.

Levent Bayram aus Berlin war auf dem Fatih-Gymnasium und zwar in den Jahren 1989 bis 92: „Das Gymnasium war bis Ende der 90er Jahre ausschließlich ein Jungengymnasium mit Internat. Die Darstellungen von Sevgi Vatansever-Erxleben können nicht der Wahrheit entsprechen. Klar waren viele der Schüler Kinder von Familien, die Wert auf Religion legten. Im Schulprogramm hatte aber eine religiöse Ausbildung, wie sie beschrieben wird, keinen Platz.“

Konnte sie auch gar nicht, weil die Schule eine staatlich anerkannte Privatschule war, und sich an die Vorgaben des türkischen Bildungsministeriums halten musste. „Jeder, der wollte, konnte seine Gebete verrichten. Es wurde aber viel mehr Wert auf moralische Werte und Anstand gelegt. Klar gab es auch bei uns, wie an jeder Schule in der Türkei, eine Atatürk-Büste. Aber sie anspucken? Wir haben gelernt, noch nicht ein Mal auf den Boden zu spucken“, zeigt sich Bayram verwundert.

Ein anderer Absolvent der Schule ist Mehmet Kaya (Name von der Redaktion geändert). Er hat die Schule auch in den 1980er Jahren besucht und war nach seinem Abitur im Jahre 1989 fast zehn Jahre lang im Vorstand des Alumni-Vereins der Schule aktiv: „Bis die AKP an die Regierung kam, war das Tragen eines Kopftuches an staatlichen Schulen verboten. Dieses Verbot betraf auch die Privatschulen. An unserer Schule waren keine Mädchen. Die Abkürzung der Schule war damals ÖFEL (Özel Fatih Erkek Lisesi – Privates Fatih-Jungengymnasium). Wenn eine Schülerin einer anderen Schule Kopftuch tragen wollte, dann durfte sie das nur bis zum Eingang der Schulgelände. Dann musste sie es abnehmen. Ansonsten konnte sie den Schulunterricht nicht besuchen und musste mit weiteren Sanktionen rechnen.“

Natürlich wollten wir als DTJ über den Fall auch mit Frau Vatansever-Erxleben sprechen und haben versucht, über die Stadtrevue-Redaktion Kontakt mit ihr aufzunehmen. Leider ohne Erfolg.