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Gesellschaft

Der Friedensprozess in der Türkei wird auch in Bonn entschieden

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In Bonn feierten am Samstag Tausende das kurdische Neujahrsfest Newroz. Gespannt hörten die Teilnehmer dem Brief des inhaftierten PKK-Führers Öcalan zu. Die kommenden Wahlen in der Türkei sind für die Kurden besonders entscheidend.

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In Bonn feierten am Samstag mehr als 17.000 Menschen das kurdische Neujahrsfest Newroz. Im Fokus stand ein Brief über die Zukunft des Friedensprozess.
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Das Newroz-Fest gilt für viele Kurden als Symbol ihres Kampfes gegen die Unterdrückung ihrer Identität und für den Frieden. Trotz eisiger Temperaturen haben am Samstag an dem kurdischen Neujahrsfest in Bonn nach Angaben der Polizei rund 17.000 Menschen teilgenommen. Am sogenannten Newroz-Tag forderten sie Frieden, Freiheit und Demokratie für die kurdische Bevölkerung. Die Veranstalter sprachen dagegen von einer weitaus höheren Teilnehmerzahl. Es seien mehr als 40.000 Menschen zu der Demonstration und einer anschließenden Kundgebung zusammengekommen, sagte eine Sprecherin des Demokratischen Gesellschaftszentrums für Kurden und Kurdinnen. Die Veranstaltung sei friedlich verlaufen.

Aus ganz Deutschland und aus verschiedenen europäischen Staaten waren die Besucher angereist, oft mit von PKK-nahen kurdischen Vereinen organisierten Busfahrten. Und schon auf den Autobahnen um Bonn war zu erkennen, welche Person auf der Newroz-Feier in Bonn im Mittelpunkt stehen würde: Abdullah Öcalan. Er war nicht anwesend – aber dennoch allgegenwärtig.

Sein Konterfei war auf zahlreichen Fahnen in und an den Autos und Bussen zu sehen, die in Richtung Bonn unterwegs waren. Einige Teilnehmer des Newroz-Festes stimmten bereits auf dem Weg den typischen Ruf „Biji Serok Apo!“ und die Forderung „Freiheit für Öcalan!“ an. Das Führen von Öcalan-Fahnen wird in Deutschland nicht geahndet. Fahnen der PKK, die in Deutschland als Terrororganisation eingestuft wird, sind hingegen verboten. Die Veranstalter scheinen – trotz einiger Ausnahmen – auf diesen feinen Unterschied Rücksicht genommen zu haben.

Dem Verfassungsschutzbericht 2013 zufolge bilden rund 13.000 der in Deutschland lebenden Kurden die „Kernanhängerschaft“ der PKK, wodurch sie vom Verfassungsschutz als die „mit Abstand mitgliederstärkste nichtislamistische extremistische Ausländerorganisation“ in Deutschland eingestuft wird. Die starke Fokussierung auf die Person Öcalan ist sowohl in Europa, wo die PKK seit Jahrzehnten über ausgeprägte Strukturen verfügt, als auch in der Türkei seit Jahren unverändert. Mit Spannung wurde daher die Rede des inhaftierten PKK-Führers zum Friedensprozess in der Türkei erwartet.

Öcalan im Fokus der Diaspora

Auf dem Festplatz am Rheinufer waren zahlreiche Stände kurdischer Organisationen, Parteien und Vereine aus verschiedenen deutschen Städten vertreten. Die Stände reihten sich um eine zentrale Bühne, auf der die Newroz-Feierlichkeiten aus der Stadt Diyarbakır in der Türkei live übertragen wurden. Im Fokus stand der Brief Öcalans, der am Samstag in Diyarbakır verlesen und in Bonn mit lautem Beifall aufgenommen wurde. Kernaussage des Öcalan-Briefes, der vor hunderttausenden Zuhörern in Diyarbakır von den zwei kurdischen Parlamentsabgeordneten Sırrı Önder und Pervin Buldan vorgelesen wurden, stand der Aufruf zum Frieden.

Nach dem Verlesen des Öcalan-Briefes wurden in Bonn ebenfalls mehrere Reden gehalten, in denen an die Opfer des schweren Bombenanschlags in der syrischen Stadt al-Hasaka vom Vortag gedacht wurde. Dort hatte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bei einem Doppelanschlag auf ein Newroz-Fest dutzende Menschen getötet, darunter auch etliche Frauen und Kinder. Die Getöteten wurden als „Märtyrer“ geehrt.

Anschließend führten verschiedene Folklore-Gruppen traditionelle kurdische Tänze auf. Die Stimmung unter den Teilnehmern war trotz des Nieselregens und der niedrigen Temperaturen ausgelassen. Innerhalb der Besuchermenge animierten Trommler die Teilnehmer zu Tänzen.

Trotz eisiger Temperaturen in Bonn: Ausgelassene Stimmung zu Newroz

Auf dem Fest waren auch verschiedene kurdische Gruppen mit Ständen vertreten: Unter anderem die „Civaka Îslamiya Kurdistan“, die ezidische Federasyona Komeleyên Êzidiyan, die alevitische „Federasyona Elewiyen Kurdistanî“ und ein Stand „Christen aus Kurdistan“. An den Ständen wurden neben Publikationen, Abzeichen, Bücher und Flaggen auch Speisen und Getränke angeboten.

An verschiedenen Ständen wurden außerdem die Fahnen und Abzeichen kurdischer Organisationen in Syrien zum Kauf angeboten. Besonders beliebt bei den hauptsächlich kurdischen Kunden waren Flaggen der Partiya Yekitîya Demokrat (PYD) – der syrischen Schwesterpartei der terroristischen PKK – und die dreieckigen Flaggen der kurdischen Milizen YPG und YPJ, die derzeit gegen den IS kämpfen. Viele der Besucher schwenkten Fahnen der unterschiedlichen kurdischen Parteien, Gruppierungen und Volksgruppen.

Auch politische Gruppierungen waren in Bonn mit Ständen präsent, so etwa die in der Türkei als Terrororganisation eingestufte Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei, MLKP. Ein Stand machte Werbung für die pro-kurdische Halkların Demokratik Partisi (HDP).

Der Friedensprozess in der Türkei hat sich dank der AKP-Regierung zu einem Thema mit nationaler Bedeutung entwickelt. Auch wenn die AKP in der Kurdenfrage an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat und eine Lösung, mit der die Türken einverstanden und die Kurden gleichermaßen zufrieden sind, in weiter Ferne liegt, gibt es für den Frieden zwischen Kurden und Türken keine Alternative.

Friedensprozess ist alternativlos

Aus Sicht der Kurden hat der seit knapp drei Jahren laufende Friedensprozess mehr an Rechten und Anerkennung gebracht als der jahrzehntelange bewaffnete Kampf, bei dem über 40.000 Menschen umgekommen sind. Diese Tatsache machte es für die Verhandlungsparter – AKP und PKK – bislang unmöglich, die Gespräche zu boykottieren.

Der Abbruch der Friedensverhandlungen und die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes würden die bislang beschlossenen Schritte zur Verbesserung der Rechtslage der Kurden in der Türkei zunichte machen und das Land in den sinnlosen Kreislauf der Gewalt zurückversetzen.

Am 7. Juni sind die Parlamentswahlen in der Türkei. Auch die Auslandstürken – zu denen auch viele Kurden in Deutschland zählen – haben das Recht an die Wahlurne zu gehen. Die pro-kurdische HDP tritt bei diesen Wahlen nicht mit Einzelkandidaten sondern als Partei an. Für die HDP ist sowohl der Friedensprozess als auch jede Stimme im In- und Ausland von existentieller Bedeutung, denn sie muss die 10-Prozent-Hürde überschreiten, um im türkischen Parlament vertreten zu sein. In der Wahlkampf-Phase sind die Erfolgschancen einer Partei, die für den Frieden steht und nicht in einem Atemzug mit Terror und Gewalt erwähnt wird, deutlich höher. Was nach den Wahlen geschieht, ist jedoch eine andere Frage.