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Panorama

Kalaschnikow „zum Schutz gegen Ausländer“

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Die mutmaßlichen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hatten Komplizen: Das jedenfalls legt das kollektive Schweigen aller Zeugen aus der Neonazi-Szene von damals nahe. (Foto: dpa)

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Die Angeklagte Beate Zschäpe (M) steht am 04.02.2015 in München (Bayern) im Gerichtssaal zwischen ihren Anwälten Anja Sturm und Wolfgang Heer. Vor dem Oberlandesgericht wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) fortgesetzt.
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Richter Manfred Götzl ist sauer. „Ziehen Sie hier keine Show ab“, raunzt er den Zeugen an. Zu oft hat er machtlos miterleben müssen, wie ehemalige und aktive Neonazi-Kader im Münchener Prozess gegen den sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) die Aussage verweigerten oder auf wichtige Frage ausweichend oder gar nicht antworteten. Die Androhung von Ordnungsgeld oder gar -haft hilft oft nicht weiter.

Am Mittwoch platzte Götzl abermals der Kragen, als ein Neonazi zur rechten Szene in Chemnitz vor und nach der Jahrtausendwende berichten sollte und nur zusammenhangsloses Gerede von sich gab. Am Ende musste er zumindest etwas konkreter werden, weil Götzl sonst härtere Konsequenzen angesetzt hätte.

„Saufen macht frei“-Schild in Auschwitz

Enrico R. ist ein besonders harter Fall: Auf einem im Internet kursierenden Foto ist der Zeuge vor dem Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz zu sehen. Er hält ein Schild mit der Aufschrift „Saufen macht frei“ in die Höhe. Dabei schaut er lächelnd in die Kamera. Das Bild ist sein Profilfoto im sozialen Netzwerk Facebook.

Enrico R. macht – wie so oft ¬– Erinnerungslücken geltend und verweist auf die lange zeitliche Distanz zum Geschehenen. Der Zeuge versteckt sich hinter Vergessen und Nichtwissen. Von einer militanten Szene in Chemnitz will er nichts gewusst, die NSU-Terroristen nicht gekannt und mit der Neonazi-Verbindung „Blood and Honour“ nichts zu tun gehabt haben.

Nachfragen zum NSU einsilbig

Die Anwälte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben hatten Enrico R. als Entlastungszeugen geladen. Er galt damals als Waffennarr und sollte Wohllebens Verbindung zum NSU als falsch darstellen. Am Ende kam es anders: Der Coup wird zum Eigentor. Denn Enrico R. tut nichts dergleichen.

Mit Beate Zschäpe und Uwe Mundlos pflegte er Anfang der 1990er-Jahre ein freundschaftliches Verhältnis. Die Hauptangeklagte vor dem Münchener Gericht sei damals eher ruhig und zurückhaltend, Mundlos ein besonnener junger Mann, „kein Krawallmacher“ gewesen, sagt Enrico R.

Vom NSU wusste er nichts, betont er. Er habe höchstens mal etwas von untergetauchten Gesinnungsgenossen gehört. Auf Nachfrage erinnerte er sich jedoch nicht, von wem er das gehört haben will und wird einsilbig.

Wohlleben nicht entlastet

Der sonst so gesprächige Mann bleibt bei seiner Geschichte. Weil er sich nicht in Widersprüche verstrickt und das Gegenteilige nicht zu beweisen ist, bleibt Richter Götzl nichts anderes übrig, als dem Zeugen zu glauben und die Aussage protokollieren zu lassen.

Enrico R. ist jedoch nicht der einzige Zeuge am Mittwoch: Robby H., der bereits 1993 aus der rechten Szene ausgestiegen war und ebenfalls auf Geheiß der Anwälte Wohllebens vor dem Münchener Oberlandesgericht aussagen sollte, konnte die Vorwürfe gegen den Mitangeklagten nicht entkräften.

„Badewanne voll Munition“

Vielmehr bestätigte er den Verdacht, dass es damals in Chemnitz durchaus eine aktive rechtsextremistische Szene mit Hang zur Militanz gegeben hat. Zumindest habe er selbst damals eine ganze Kiste Handgranaten, eine Kalaschnikow und „eine Badewanne voll Munition“ zum „Schutz gegen Ausländer“ gekauft.

Auf Nachfrage Götzls, wen er denn damals im Auge hatte, antwortete H. „Alle“. Er will Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nicht gekannt haben. Vielmehr betont Robby H., dass er bereits 1993/94 aus der rechten Szene ausgestiegen sei.

Die schreckliche Bilanz

Die Terrorgruppe des sogenannten NSU soll von 2000 bis 2011 aus Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestanden haben. Die beiden mutmaßlichen männlichen Mitglieder der Gruppe sollen acht türkischstämmige und einen griechischen Händler sowie eine Polizistin getötet und 14 Banken in Chemnitz, Zwickau, Stralsund und Arnstadt überfallen haben.

Zschäpe ist seit 2013 wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen, besonders schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in und Gründung einer terroristischen Vereinigung vor dem Münchener Oberlandesgericht angeklagt.

Mittlerweile haben die Taten des sogenannten NSU fünf Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Länderebene beschäftigt und unzählige Entlassungen und Rücktritte verursacht. Wirkliche Erkenntnisse bleiben jedoch rar, Verschwörungstheorien beliebt.