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Politik

Türkeiexperte: „Die meisten Auslands-Türken sind politisiert”

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Der Politikwissenschaftler Dr. Cemal Karakas prognostiziert, dass die Stimmen der im Ausland lebenden Türken Auswirkungen auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in der Türkei haben können. Die meisten Auslands-Türken seien stark politisiert. (Foto: dha)

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Zum ersten Mal können im Ausland lebende Türken an der Präsidentenwahl ihres Heimatlandes teilnehmen, ohne eigens dorthin zu fliegen. Am Donnerstag haben in sieben deutschen Städten die Wahllokale geöffnet, bis Sonntag können 1,4 Millionen Wahlberechtigte dort ihre Stimme abgeben. Das könne Auswirkungen auf das Ergebnis haben, denn die meisten Auslands-Türken seien stark politisiert, sagte der Türkeistämmige Politikwissenschaftler Dr. Cemal Karakas im Interview der Nachrichtenagentur dpa.

Welche Auswirkungen hat es auf die Wahl, dass erstmals auch im Ausland lebende Türken an der Präsidentenwahl teilnehmen können?

Es ist schwer zu sagen, wie die rund fünf Millionen Türkeistämmigen Menschen in Deutschland, in anderen Teilen Europas und in Übersee wählen werden. Gemeinhin gilt die Vermutung, dass vor allem die, die in Deutschland leben, konservativ-sunnitisch geprägt und AKP-nah sind. Diese Vermutung wurde bei den letzten Parlamentswahlen 2011 bestätigt.

Wie sah das Ergebnis genau aus?

Seinerzeit bekam die AKP rund 60 Prozent der Stimmen von den rund 1,5 Millionen wahlberechtigten in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern. Allerdings lag die Wahlbeteiligung bei niedrigen zehn Prozent. In der Vergangenheit mussten die im Ausland lebenden türkischen Staatsbürger zu den Wahllokalen an den Grenzübergängen oder an den türkischen Flughäfen fahren. Da die Stimmabgabe erstmals in Deutschland möglich ist, ist davon auszugehen, dass die Wahlbeteiligung deutlich steigen wird.

Sind die Türken in Deutschland politisch?

Die meisten Auslands- oder Diaspora-Türken sind politisiert. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass die Migranten entweder aus politischen, religiösen oder armutsbedingten Gründen in den 1960er und 1970er Jahren ihre Heimat verlassen mussten. Die Türkeistämmigen Migranten sind gleichzeitig ein gutes Spiegelbild der Gesellschaft des Herkunftslandes: So leben in Deutschland nicht nur Türken, sondern auch viele Türkeistämmige Kurden. In beiden Gruppen gibt es Sunniten, Aleviten, Yeziden.

Wozu führt diese Heterogenität?

Diese Heterogenität und Zersplitterung macht die Türkeistämmigen Migranten nicht nur anfällig für das Überschwappen von innertürkischen Konflikten oder Instrumentalisierungen aus dem Herkunftsland, sondern schwächt ebenso deren Sozialisierung und soziale Integration in Deutschland. Dies hat auch politische Auswirkungen: Ich kenne weltweit keine so große Migrantengruppe wie die mit rund drei Millionen Türkeistämmigen in Deutschland, die so wenig politische Teilhabe- und Mitentscheidungsrechte im Auswanderungsland innehat.

Wieso ist weder Briefwahl noch eine Online-Wahl möglich?

Für eine Online-Wahl mag zwar Deutschland ausreichend digitalisiert sein, aber die Türkei ist es nicht. Man müsste diese Form der Wahl auch den Wählern in der Türkei anbieten. Eine Briefwahl wiederum stand in den letzten Jahren immer wieder zur Diskussion. Sie wurde jedoch vom Türkischen Verfassungsgericht gekippt mit der skurrilen Begründung, dass das Wahlgeheimnis durch Einflussnahme von außen – gemeint waren wohl das familiäre, religiöse und ethnische Umfeld sowie die nach wie vor mangelnde Alphabetisierungsquote in Teilen der türkischen Gesellschaft – beeinflusst werden könnte.

Aber Einfluss kann man auch anders nehmen, oder?

Genau, und deswegen hat das Ganze einen faden Beigeschmack, weil die Einflussnahme auf die Stimmabgabe auch über andere Wege möglich ist. In der Vergangenheit organisierten und finanzierten oft die Parteien oder ihnen nahestehende Kultur- und Moscheeverbände die Reisen der Türkeistämmigen Auslandswähler zu den Wahllokalen. Es ist davon auszugehen, dass diese Praxis der Mobilisierung auch bei der bevorstehenden Präsidentenwahl beibehalten wird. (dpa/dtj)

*Dr. Cemal Karakas (41) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und Dozent an der Universität Kassel. Er hat Politikwissenschaften studiert und promovierte über die US-amerikanische und deutsche Entwicklungs- und Demokratieförderpolitik gegenüber der Türkei.