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Politik

Schiiten/Sunniten: Konfessioneller Konflikt droht wieder aufzuflammen

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Die Entwicklungen der letzten Wochen machen deutlich, dass der Syrienkonflikt auch andere Staaten erreichen wird, wenn Assad nicht zeitnah entmachtet wird. Washington zeigt sich bereit, zu helfen. Brüssel hingegen laviert weiter herum. (Foto: ap)

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Schiiten/Sunniten: Konfessioneller Konflikt droht wieder aufzuflammen
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Während die USA und der Rest des Westens sich weiterhin in einem frustrierten Suchmodus nach einer Lösung mit Blick auf den syrischen Albtraum befinden, hat der Konflikt nun einen seiner noch weitgehend stärker beunruhigenden Aspekte offenbart: In einem gut koordinierten Hinterhalt wurden 48 syrische und neun irakische Soldaten von oppositionellen Kräften in der Al-Anbar-Provinz des Irak getötet. Irakische Behörden haben den irakischen Zweig von Al-Qaida für den Angriff verantwortlich gemacht.

Diese Entwicklung ist derzeit das deutlichste Signal für die Gefahr eines Übergreifens der syrischen Kämpfe auf irakisches Territorium, und eine Vorbotin dessen, was nach realistischen Einschätzungen noch kommen könnte.

Der bekannte Nahost-Journalist Juan Cole beschreibt die Situation wie folgt: „Der schiitisch regierte Irak steht vor einem laufenden Guerillakrieg mit radikalen Sunniten, einige von ihnen kämpfen jetzt offenbar im syrischen Jabhat al-Nusra und operieren von dort aus. Darüber hinaus hat die sunnitisch-arabische Bevölkerung im Westen und Norden des Landes, insgesamt etwa ein Fünftel der Bevölkerung des Landes, mehrere Monate lang friedlich gegen die Maliki-Regierung demonstriert. Maliki hat Angst davor, dass die sunnitischen Radikalen in Damaskus die Oberhand gewinnen, denn dies könnte schwere Auswirkungen auf Mossul und Ramadi haben“. Diese von der Regierung in Bagdad befürchtete Entwicklung hätte möglicherweise schon längst begonnen.

Verstärkter Waffenzufluss über die Grenze

Sollte der Irak tatsächlich langsam in den Konflikt mit einbezogen werden, könnten Jordanien, die Türkei und der Libanon als Nächste an der Reihe sein. Dennoch stimmt die Tatsache, dass die USA sich immer mehr mit dem Gedanken an ein entschlossenes Vorgehen anfreunden können, um einer möglichen unkontrollierbaren Situation auf dem Boden gegenzusteuern, nicht erwartungsfroher – immer noch laviert Europa herum, wenn es um die Versorgung der Rebellen mit Waffen und Munition geht, und ein Stimmungswechsel ist nicht wahrnehmbar.

Da sich der syrische Präsident Bashar al-Assad in seinem Wahn – den mittlerweile sogar die Russen vorsichtig einräumen – weiterhin trotzig verhält, könnte sich die Situation möglicherweise aber noch verändern, je spürbarer es dem Ende zugeht. Kürzlich teilte etwa eine Quelle der Opposition dem „Guardian“ mit, dass der Zufluss von Waffen für die Rebelleneinheiten über die türkische Grenze mittlerweile schneller und unbürokratischer von Statten gehe.

„Das waren keine Waffen, die wie sonst von syrischen Armeebasen erbeutet wurden. Es waren welche, die aus türkischen Lagerbeständen stammen. Das sind Waffen, welche die Opposition zuvor gekauft hatte, doch die über die Grenzen zu bringen nicht erlaubt war. Aber es gibt jetzt mit Blick auf den Bodenkrieg wesentliche Änderungen. Ich denke, der Gesinnungswandel der Amerikaner geht weit über das hinaus, was die offiziellen Berichte verlautbaren. Ich glaube, Washington weiß, dass ein Scheitern des Projekts keine Option mehr ist“, sagte die Quelle der in London erscheinenden Tageszeitung.

Es gibt darüber hinaus auch Hinweise, wonach es verschiedene, intensive Bemühungen gäbe, die Opposition in Jordaniens Grenzregion zu unterstützen. Vom Standpunkt der politischen Vernunft in der Region aus betrachtet, ist die Essenz der Aufrufe zum Handeln in Arbil, Beirut, Amman, Jerusalem oder Ankara die gleiche: Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit mit viel zu vielen Unbekannten und immer höheren Risiken eines Chaos. Jeder weiß, welchen Ländern in dieser Phase die Fortführung einer umnebelten, stetigen Eskalationsspirale nützen würde.

Je länger der Krieg dauert, umso mehr Raum gewinnen die Extremisten

Ein Dialog mit Assad sollte nach all dem Blutvergießen und all der Zerstörung nicht in Frage kommen. Der „Daily Star“ schreibt aus dem Libanon: „Es ist eine Zeitverschwendung, wenn an die Opposition Bedingungen für die Teilnahme an Friedensverhandlungen gestellt werden, die einer Kapitulation gleichkommen. Es gibt einen Punkt der völligen Übereinstimmung, wo jeder weiß, dass eine „politische Lösung“ unter diesen Bedingungen nicht funktionieren würde. Das Regime weiß das, ebenso wie die Opposition und ihre Verbündeten in Russland und im Westen. Je länger der Krieg weitergeht, desto fruchtbarer wird Syrien für Extremismus und Extremisten sein“.

Fast zwei Jahre sind vergangen, seit die Gräueltaten begonnen haben. Assad, der mit der Eskalation der Gewalt begonnen hat, wird nicht in der Lage sein, sie zu beenden. Andere Akteure müssen sie beenden. Dafür ist es nötig, eine klare Frist zu bestimmen.

In einem kürzlich erschienenen Bericht der in Ankara ansässigen „Internationalen Organisation für Strategische Forschung“ (USAK) – „Einem syrischen Albtraum entgegen“ – wobei der Titel längst von der Realität überholt ist – wird es deutlich hervorgehoben: „Allen denkbaren Unwägbarkeiten entgegen steht fest, dass, wenn Assad trotz bis zum zweiten Quartal 2013 die Macht verliert (egal ob durch Verhandlungen, Einigung, Flucht, Putsch oder Ermordung), hat Syrien die Fähigkeit, in seine vorrevolutionäre Situation zurückkehren, aber dies erfordert ernsthafte, regionale und internationale Unterstützung. Wenn das Regime aber an der Macht bleibt und es Assad gelingen sollte, noch bis Juli 2014 an der Macht zu bleiben, dann befindet sich die Zukunft Syriens in großer Gefahr.“

Wenn der letzte Übergriff auf den Irak nicht ausreichen sollte, um die Warnlichter angehen zu lassen, stellt sich die Frage, was denn überhaupt noch passieren muss.

Autoreninfo: Yavuz Baydar ist Experte für den Nahen und Mittleren Osten. Er schreibt für „Today’s Zaman“.