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Politik

Tod eines Lehrers in der Türkei: Brisantes Video aufgetaucht

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Haftbedingungen in der Türkei
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Der Fall des Lehrers Gökhan Açıkkollu gehört zu den ersten Todesfällen in der Türkei nach dem Putschversuch 2016. Açıkkollu starb schon in den ersten Tagen nach dem 15. Juli in einer Gefängniszelle. Nach seinem Tod erklärten ihn die Richter für unschuldig. Jetzt ist ein Video aufgetaucht, in dem die letzten Momente im Leben des Lehrers zu sehen sind. Dabei fallen weitere brisante Details auf.

Juli 2016. Die Türkei wird erschüttert von einem Putschversuch. Das ganze Land versucht zu verstehen, was gerade los ist. In der Zwischenzeit stellen sich mutige Bürger den Militärs in den Weg. Manche verlieren dabei ihr Leben.

Mitten in den Geschehnissen: Der Lehrer Gökhan Açıkkollu. Açıkkollus Kinder besuchen eine Schule, die der Gülen-Bewegung angehörten. Damit fällt der Lehrer in die Kategorie „Staatsfeind“. Denn die türkische Regierung macht noch in den Anfangsstunden des ungewöhnlichen Putschversuchs die Bewegung um den Islam-Gelehrten Fethullah Gülen für den Staatsstreich verantwortlich. Handfeste Beweise gibt es bislang dafür nach wie vor nicht.

Tausende Menschen werden festgenommen und tagelang in Untersuchungshaft gehalten. Gökhan Açıkkollu gehört dazu. Er wird nur wenige Tage nach dem Putschversuch in der Türkei festgenommen. Die Familie bekommt nur eine anonyme telefonische Benachrichtigung: „Ihr Mann wurde durch die Terrorbekämpfungsbehörde festgenommen, zu Ihrer Kenntnis.“ Mehr sagte die unbekannte Stimme nicht. Irgendwann kam dann ein weiterer Anruf von derselben Nummer, die Mümine Açıkkollu trotz mehrfachen Versuchs seitdem nicht mehr erreichen konnte. „Ihrem Mann geht es gut. Sie pflegen ihn hier“ – das war der einzige Satz, den der unbekannte Mann am Telefon noch sagte. Das beruhigte die Ehefrau des Lehrers nicht. Denn sie wusste, dass dieser an Diabetes erkrankt war und dringend Medikamente brauchte. Ob er sie bekam, war unklar.

Gewalt in U-Haft

Wie Mümine später feststellte, nahm ihr Mann die Medikamente wohl nicht ein. Viel schlimmer noch: Gökhan Açıkkollu soll während der Befragungen von der türkischen Polizei misshandelt worden sein. Das behauptet jedenfalls Gürol Berber, der mit Açıkkollu die Untersuchungshaft in derselben Zelle verbrachte.

Laut Berber sollen etwa zehn Polizeibeamte auf den Lehrer eingeschlagen haben. Als Açıkkollu Augenkontakt mit einem der Beamten suchte, soll der Beamte „Was schaust du mich an?“ gesagt und zugeschlagen haben. Als der Misshandelte daraufhin seinen Blick senkte, habe es plötzlich „Warum schaust du auf den Boden? Sieh mich an!“ geheißen. Später soll man sogar auf seinen Rücken gestiegen und ihm Tritte verpasst haben, als er auf dem Boden lag.

Erst Tage später erfuhr seine Frau, auf welcher Wache ihr Mann festgehalten wurde. Sie musste ihn erreichen. Nicht nur, weil sie ihn vermisst hatte. Sondern weil sie wusste, dass er Diabetes hatte und dringend seine Medikamente einnehmen musste.

Hat Açıkkollu Diabetes-Medikamente nie bekommen?

Die Ehefrau macht den türkischen Behörden nun Vorwürfe. „Nach dem Tod meines Mannes ist mir aufgefallen, dass die Medikamente nicht eingenommen wurden. Die Medikamente waren auf demselben Stand, wie ich sie damals abgegeben hatte.“

Außerdem soll es einen Arztbericht geben, in dem weitere Foltervorwürfe quasi bestätigt werden. Der behandelnde Arzt hätte niedergeschrieben, dass Açıkkollu ihm von Gewaltanwendung während der Festnahme und der Fahrt auf die Wache erzählt hätte.

Mitinsasse sah nach eigenen Angaben, wie Açıkkollu starb

13 Tage nach seiner Verhaftung starb Açıkkollu. Ein weiterer Mitinsasse, mit dem wir über den Fall sprechen konnten, berichtete uns über das Geschehen. Den Mitinsassen nennen wir aus Sicherheitsgründen Şinasi.

Laut Şinasi wurde Açıkkollu kurz vor seinem Tod von zwei Beamten in seine Zelle geschleppt. Dabei sei der Lehrer bereits so angeschlagen und gezeichnet gewesen, dass sie ihn an den Armen zerrten und ihn über den Boden schliffen. „Sie haben ihn wie ein Stück Fleisch vom Metzger auf den Boden gelegt. Es entstand dabei ein dumpfes Geräusch. Sehr unangenehm.“ Anschließend habe der ohnmächtige Açıkkollu angefangen zu zittern. „Er brach vor unseren Augen zusammen. In der Zelle direkt nebenan war offensichtlich ein Arzt vom Militärkrankenhaus GATA eingesperrt. Die Polizisten haben voller Panik den Arzt in unsere Zelle geholt und ihm befohlen, schnell etwas gegen den Kollaps zu unternehmen.“

Der Arzt habe gesagt, dass jede Hilfe zu spät kommt, vor allem ohne irgendwelches Instrumentarium. „So starb Gökhan Açıkkollu. Vor unseren Augen. Der Arzt sagte, dass es wegen der Schläge gegen seinen Kopf passiert sein muss. Es hatte nichts mit seiner Medizin zu tun. Vielleicht hat das seinen Zustand nur noch zusätzlich verschlechtert. Das kann natürlich sein.“ In der Nacht zum 5. August starb der Lehrer.

Video bestätigt schlimme Situation in türkischer U-Haft

Ein neulich aufgetauchtes Video bestätigt nun die Vorwürfe. Das Video erschien auf der Webseite des Online-Nachrichtenportals Bold. Die Familie forderte nach den harten Vorwürfen ein Video zu den Umständen in jener Nacht an. Wie Bold berichtet, sind in dem Video nur Ausschnitte aus jener Nacht zu sehen. Doch das allein zeigt, wie schrecklich die Situation war. Aber das Video birgt weitere Details. Jegliche Art von unmenschlichen  Umständen hat die Regierung bislang abgewiesen. Doch in dem Video ist zu sehen, wie in der Zelle, in der maximal zwei Personen unterkommen können, insgesamt fünf Personen untergebracht wurde. Mittendrin verliert Gökhan Açıkkollu sein Leben.

Zwei Jahre nach seinem Tod: Açıkkollu wird wieder als Lehrer zugelassen

Noch kurioser wird dieser Fall etwa zwei Jahre nach dem Tod des Lehrers. Dann nämlich wurde Gökhan Açıkkollu per Gerichtsentscheid für unschuldig erklärt und wieder zum Dienst zugelassen.

dtj-online hatte bereits in zwei Teilen berichtet, wie die Familie die Situation im Rahmen seiner Festnahme erlebte. Lesen Sie hier Teil 1 und hier Teil 2.