Connect with us

Bildung & Forschung

„Eigene Tradition deutscher islamischer Theologie etablieren“

Spread the love

Erdal Toprakyaran hat einen Lehrstuhl für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen inne. Er sieht die akademischen Islamwissenschaften in Deutschland erst an ihrem Anfang.

Published

on

Erdal Toprakyaran hat einen Lehrstuhl für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen
Spread the love

Das Zentrum für Islamische Theologie ist eine Einrichtung der Universität Tübingen. Es begann seinen Vorlesungsbetrieb zum Wintersemester 2011/2012.

Es sollen an dieser Einrichtung insgesamt sechs Lehrstühle mit je einer Assistentenstelle entstehen, nämlich für Koranwissenschaften, Hadīth-Wissenschaften und Prophetische Tradition, Islamisches Recht (Rechtsquellen und Methodologie der Rechtsfindung, Rechtsgeschichte), Islamische Glaubenslehre, Islamische Geschichte / Geschichte der islamischen Länder und Religionspädagogik.

Zu Beginn sollen bis zu 40 Studenten dort studieren. Das Zentrum steht unter der Leitung von Erdal Toprakyaran, der den vorherigen Direktor Omar Hamdan ablöste.

Dem DTJ stand Toprakyaran vor allem zum Thema „Perspektiven der islamischen Theologie in Deutschland“ Rede und Antwort.

Herr Toprakyaran, möchten Sie sich zuerst einmal vorstellen? Und könnten Sie uns über Ihren akademischen Werdegang aufklären?

Mein Name ist Erdal Toprakyaran. Ich bin ein Kind türkischer Eltern und bin in Grünstadt geboren. Nach der Grundschule in Grünstadt wechselte ich aufs Gymnasium in Ludwigshafen. Nach dem Abitur habe ich ein Studium der Fachrichtung Islamwissenschaften und Ethnologie in Heidelberg aufgenommen. Ich habe auch in Heidelberg in Islamwissenschaften promoviert, wobei ich mich während meines Studiums und der Promotion auf die osmanische Religionsgeschichte konzentriert hatte. Anschließend war ich 2 Jahre an der Uni in Bochum und habe dort an einem Post-Doc-Projekt gearbeitet, in dem es um islamische Bildungsnetzwerke und osmanische Religionsgeschichte ging. Dann war ich ein Jahr lang Religionskundelehrer in Duisburg. Danach habe ich 2,5 Jahre bei einer privaten Stiftung (Eugen-Biser-Stiftung) in München als Koordinator christlich-islamischer Projekte und ein halbes Jahr als wissenschaftlicher Koordinator und Post-Doc des Frankfurter Zentrums gearbeitet. Zu guter Letzt erhielt ich den Ruf auf die Junior-Professur für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur aus Tübingen. Und nach einem halben Jahr wurde ich dann zum Direktor des Zentrums für islamische Theologie gewählt.

Wie ist es eigentlich möglich, als Islamwissenschaftler Rektor an einem Zentrum für Islamische Theologie zu werden?

Die Situation in Deutschland war so, dass es bisher keine Islamische Theologie gab. Und wenn man dann islamische Theologie hier in Deutschland einbauen will, muss man eben Kompromisse eingehen. Es war der Fall, dass nicht nur im Tübinger Zentrum, sondern auch in anderen Zentren in Deutschland muslimische Islamwissenschaftler Stellen für islamische Theologien bekamen. Es gibt sehr wenige, die in ihren Ländern Islamische Theologie studiert haben und nun hier als Wissenschaftler arbeiten – obwohl es in meinem Bereich keinen Unterschied macht, ob sie an der theologischen Fakultät in Ankara islamische Geschichte studiert haben oder in Heidelberg. Man arbeitet im Bereich der Geschichte mit denselben Methoden. In der Theologie zählt eben hauptsächlich das Bekenntnis. Inhaltlich gesehen ändert sich wenig.

Welche Fächer unterrichten Sie? Und könnten Sie kurz auf deren Inhalt eingehen?

Am liebsten würde ich hier im Zentrum Vorlesungen in osmanischer Religionsgeschichte abhalten, aber das geht leider im Moment nicht, da wir sehr wenige Dozenten vor Ort haben und daher viele Bereiche abdecken müssen. Ich zum Beispiel als Historiker muss die ganze islamische Geschichte abdecken, obwohl mein Schwerpunkt die osmanische Geschichte ist. Neben der Vorlesung Islamische Geschichte habe ich noch zusätzlich das Seminar Sira, Prophetenbiografie übernommen. Und als drittes habe ich das Seminar für Islamische Mystik übernommen, weil wir eben noch keinen Professor für Islamische Mystik hier im Zentrum haben. Also Fakt ist, dass die Dozenten eben im Moment alle hier sehr flexibel sein müssen.

Wie viele Studenten sind eingeschrieben?

Im Moment sind 52 Studentinnen und Studenten eingeschrieben. Wobei es zu Beginn des Semesters immer mehr sind, dann aber immer wieder welche abbrechen oder aber auch wie wir neulich eine dabei hatten, die zu Medizin gewechselt ist.

Könnten Sie uns ein wenig über das Profil der Studenten etwas berichten?

Größtenteils sind es Studierende mit türkischem Migrationshintergrund. Aber es sind auch einige wenige Studenten aus Bosnien, Afghanistan, dem Iran oder den arabischen bzw. nordafrikanischen Staaten und deutsche Konvertiten mit dabei. Fast alle Studenten sind Muslime und einige wenige Christen mit dabei.

Wie sehen sie die Berufschancen? Welche Berufschancen haben die Studenten?

Ich gehe davon aus, dass wir jetzt im Wintersemester mit der Lehrerausbildung beginnen können.

Studenten, die einen Beruf als Lehrer annehmen, haben sehr große Chancen in der Zukunft, wobei es derzeit einige Probleme wie das Unterrichten mit dem Kopftuch gibt. Das aber wird auf jeden Fall in naher Zukunft geklärt werden. Ich glaube nicht, dass das Land diese jungen Damen aufgrund des Kopftuchs ablehnen wird. Aber insgesamt sehe ich die Chancen sehr gut, wobei hier eigentlich das Eigenengagement eine große Rolle spielt. Die Studenten müssen sich möglichst früh Gedanken über ihre Zukunft machen. Es gibt überall Möglichkeiten für Muslime mit islamischen Kompetenzen.

Die Zahl der Studenten der islamischen Theologie ist in den letzten Jahren gestiegen, woran liegt das?

Die Nachfrage nach einem Islamstudium gab es auch in meiner Zeit. 50% der Studenten, die ein Orientalistik-Studium aufgenommen haben, haben das getan, weil sie mehr über ihre Religion, über ihre Wurzeln und Arabisch lernen wollten. Weil es damals die islamische Theologie nicht gab, sind viele dann zu den Islamwissenschaften gegangen, wobei es wiederum welche gibt, die durch Eigenengagement geschafft haben, sich nicht nur orientalistisch, sondern auch islamisch-theologisch weiterzubilden. Jetzt gibt es diese Zentren. Von daher glaube ich, dass das Interesse nicht abrupt steigen wird, da es wie schon gesagt Interesse immer schon in einem gewissen Ausmaß gab.

Haben die zukünftigen Theologen die gleichen Verhältnisse wie die Orientalisten? Was unterscheidet die beiden Berufe voneinander?

Der Hauptunterschied ist natürlich, dass die Theologie bekenntnisorientiert ist und es anders in Deutschland auch nicht denkbar ist, als dass die Theologen sich zu gewissen Dingen auch bekennen. Wobei es in der Orientalistik auch bekennende Muslime gibt, die auch sehr gute Arbeit leisten. Nur ist es so, dass bei Ihnen dieses Bekenntnis keine Rolle spielt bzw. spielen darf. In der islamischen Theologie wiederum spielt es eine Rolle.

Sie sind dennoch beide gezwungen, wissenschaftlich zu arbeiten. Die Theologen dürfen sich hier nicht hinter ihrer Religion verstecken, sondern sind auch aufgefordert, sich der Sache wissenschaftlich zu nähern und auch selbstkritisch zu sein.

Welche Erwartungen hat die christliche Gemeinschaft von den muslimisch-deutschen Theologen?

Die christlichen Theologien haben ein großes Interesse daran. Aber nicht nur die christlichen Theologen, sondern auch der Rest der Gesellschaft (die Politik, die Vereine etc.) zeigt reges Interesse. Alle sind froh einen Ansprechpartner auf gleicher Augenhöhe zu haben.

Wir als Zentrum bekommen fast täglich Anfragen von christlichen Fakultäten. Es sind Anfragen von Theologen, die mit uns arbeiten, Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufdecken und das Verhältnis so verbessern oder vertiefen möchten.

Welches Verständnis vom Islam hat das Zentrum für islamische Theologie?

Bisher haben wir da keinen Bedarf gesehen, etwas Verbindliches schriftlich niederzulegen. Es kam also nicht vor, dass wir uns mit den Kollegen hinsetzten, um eine gemeinsame theologische Linie zu zeichnen. Wir sind noch sehr neu. Wir kämpfen derzeit hauptsächlich mit administrativen Angelegenheiten. Wir arbeiten an Projekten, an Studiengängen und vielem mehr.

Die Theologen in Deutschland müssen sich aber langsam überlegen, dass sie eine eigene, deutschsprachige theologische Tradition etablieren. Daher denke ich, dass es etwas vermessen ist, wenn wir sagen, dass jeder Standort eine andere Theologie hat. Das halte ich auch nicht für möglich und sinnvoll.

In der islamischen Geschichte sehen wir auch, dass diese Etablierung Jahrhunderte gedauert hat und nicht von heute auf morgen entstanden ist. Dies dauerte nach meinem Dafürhalten mindestens 30-40 Jahre, bis sich da überhaupt etwas entwickelt haben wird.

Was ist Ihr Fazit? Wie sehen Sie die Zukunft bezüglich der islamischen Zentren in Deutschland?

Ich sehe die Zukunft sehr gut. Ich bin sehr optimistisch in dieser Hinsicht. Für den Anfang ist es ein sehr großer Gewinn, wenn man diese vier oder fünf Zentren hat. Neben diesen vier Zentren gibt es noch kleinere Entwicklungen. Das insgesamt tut dem Islam in Deutschland sehr gut. Denn dadurch gibt es eine Fülle von Diskussionen, Publikationen, Kontroverse etc.

Wichtig ist auch, dass sich die Literatur auf Deutsch steigert, neue klassische Werke ins Deutsche übersetzt werden und eine eigene Sprache entwickelt wird.