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Politik

Wer nicht für mich ist, ist gegen mich

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Der Soziologe Ali Bulaç analysiert die Freund-Feind-Strategie des türkischen Premierministers und deren Folgen für die Innen- und Außenpolitik der Türkei. Der Schlüssel zur Lösung der verfahrenen Situation liege nun bei Erdoğan selbst. (Foto: dpa)

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Erdoğan vor seinen Anhängern. dpa
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Vorab zwei Anmerkungen:

a) Der folgende Artikel hegt lediglich gute Absichten und hat nicht im Geringsten zum Ziel, der Türkei, der AKP oder dem Premierminister Erdoğan zu schaden. Deshalb sollte die nachfolgende kritische Analyse vielmehr als ein Akt brüderlicher Warnung verstanden werden.

b) Dieser Text gibt nicht meine persönliche Meinung bzw. meine Ideen wieder. Er soll nur zusammenfassend die Lage beschreiben und Orientierung bieten. Um es in anderen Worten auszudrücken: Ich beschreibe das vor uns liegende große Bild nicht „wie es sein sollte“, sondern leider „wie es ist“. Ich wünsche mir sehr, dass ich mich dabei täusche.

Wenn man das große Bild betrachtet, fallen folgende Aspekte auf:

Die heutige Politik der Vereinigten Staaten, unseres strategischen Partners innerhalb der NATO, betrachtet die AKP-Regierung zunehmend kritisch und der Bund zwischen ihnen scheint nicht mehr lange standhalten zu können. Die Beziehungen mit der EU sind in Anbetracht der fortlaufenden Beitrittsverhandlungen extrem schlecht, träge und bewegen sich ohne nennenswerte Hoffnungen voran.

Zahlreiche Probleme mit den Nachbarn

Mit zahlreichen Ländern der Region sind wir in Streitigkeiten verwickelt, in denen nicht ganz klar ist, wer denn eigentlich im Recht ist. Unsere Beziehungen mit dem Irak sind angespannt, mit Syrien und Ägypten sogar gänzlich abgebrochen.

Das Verhältnis zu Saudi-Arabien gleitet in eine neue Ära, die mit der vorherigen kaum zu vergleichen sein wird. Auch Katar, unser gegenwärtig engster Partner in der Region, orientiert seine Politik umfassend um.

In der Politik unseres größten Nachbarn, des Iran, haben große Umwälzungen stattgefunden. Die Führung unter dem neuen Präsidenten Hassan Rohani ist bemüht, die Beziehungen mit den USA und dem Westen zu normalisieren, um das internationale Embargo gegen den Iran durchbrechen zu können. Es erscheint nicht einmal als ausgeschlossen, dass sich künftig die Beziehungen des Irans zu Israel normalisieren und eine neue Richtung einschlagen könnten.

In einer Diskussion, die neulich in den iranischen Medien stattgefunden hat, wurde mittlerweile die Regierung Erdoğans kaum noch von jener Ahmadinedschads unterschieden. Kurz gesagt versucht der Iran, seinen inoffiziellen Handels- sowie Geldverkehr aufgrund des Embargos zu unterbinden.

In der Türkei sind auch Ermittlungen gegen den iranischen Unternehmer Babek Zanjani aufgenommen worden, der sich dem Vorwurf stellen muss, in undurchsichtige Machenschaften rund um den Geschäftsmann Reza Sarraf verwickelt zu sein.

Russland wird kein Bündnis mit einem instabilen Land eingehen

Dass die Türkei sich vom Westen entfernt, um sich anschließend Russland anzunähern, ist zwar eine Möglichkeit, doch wird sich Russland aufgrund des vorprogrammierten Drucks der Vereinigten Staaten und des Westens im Allgemeinen kaum darauf einlassen. So liefert die letztlich stattgefundene Kooperation der USA mit Russland rund um den Syrien-Konflikt ein gutes Beispiel für die Kooperation beider Mächte, die spätestens dann einsetzt, wenn ihrer beider Interessen unmittelbar betroffen sind.

Der Versuch, ein Bündnis mit den irakischen Kurden einzugehen, um der Weltgemeinschaft zu trotzen, wird vermutlich dazu führen, dass sowohl wir als auch die Kurden eine Tracht Prügel durch die globalen Akteure verpasst bekommen. Aufs Ganze gesehen hat die Türkei heute jedenfalls mit fast jedem Land Probleme, obwohl sie bis 2011 noch große außenpolitische Erfolge für sich beanspruchen konnte.

Wenn wir unseren Blick nach innen richten, sieht das Bild nicht viel besser aus. Nach den Taksim-Protesten hat sich die immerhin 50% ausmachende Opposition aufgrund der fehlgeschlagenen und unversöhnlichen Politik der Regierung zu einem breiten Anti-AKP-Bündnis zusammengefunden. Es ist auch kein Geheimnis mehr, dass die AKP seit den Wahlen 2011 auch mit den Liberalen des Landes in Schwierigkeiten geraten ist. Und nicht zuletzt sind die Beziehungen zur Hizmet-Bewegung aufgrund der umstrittenen Versuche zur Schließung der Dershanes (private Nachhilfeeinrichtungen) immer schlechter geworden. Der am 17. Dezember aufgeflogene Korruptionsskandal hat die ohnehin angeschlagenen Beziehungen an einem neuen Tiefpunkt angelangen lassen. Wenn die Regierung nun aufgrund irrationaler Entscheidungen die faktische Liquidation der Beamtenschaft sowie der Polizei sowie Justiz durchführen sollte, könnte dies zu so großen Rissen innerhalb der Gesellschaft führen, die man womöglich über Jahrhunderte hinweg nicht mehr vergessen würde.

Fortführung der Konfrontationsstrategie würde Regierung scheitern lassen

Sollte das oben gezeichnete Bild der Wirklichkeit entsprechen, so ist es offensichtlich, dass eine Führung, die nahezu mit jedem zerstritten ist, nicht länger tragbar ist. Mag sein, dass es auf internationaler Ebene ein Interesse vieler Akteure gibt, Premierminister Erdoğan systematisch als eine Person darzustellen, die sich mit der ganzen Welt anlegt und versucht, „sich mit einer Pistole in der Hand Panzern entgegenzustellen“. Allerdings steuert Erdoğan selbst Einiges zu diesem Bild bei.

Meiner Einschätzung nach Premierminister Erdoğan und seine Partei im Syrien-Konflikt, beim Uludere-Vorfall, bei den Taksim-Protesten sowie bei dem Versuch zur Schließung der Nachhilfeeinrichtungen in die Irre geführt.

Doch ist es auf der Hand liegend, dass die Regierung keine langfristige Erfolgsaussicht mehr haben wird, wenn sie darauf beharrt, ihren Streit mit den oben genannten inneren und äußeren Kräften weiterhin fortzuführen. Dies ist ohne Zweifel keine vertretbare Politik. Die zunehmende Spannung erhöht das Risiko einer innenpolitischen Eskalation. Wenn die Spannung einen Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr kontrolliert werden kann, würde dies zu einer großen Erschütterung im Lande führen und womöglich einen Weg ebnen, der bis zur Spaltung führen könnte.

Jeder sollte in diesen Tagen verantwortungsvoll handeln und versuchen, die Situation zu beruhigen. Doch die Initiative liegt in den Händen des Regierungschefs. Würde er die Möglichkeit ergreifen, um die angespannte Lage zu besänftigen, wäre ein Ausweg aus dem derzeitigen Leid möglich.