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Politik

Erdoğan-Nominierung kein großes Thema für deutsche Medien

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Eine wirkliche Überraschung war die Nominierung Erdoğans für die Präsidentschaftswahlen am Ende nicht mehr. Wie aber beurteilen die deutschen Medien seine Kandidatur? Wir haben eine kleine Übersicht zusammengestellt. (Foto: cihan)

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Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurde am Dienstag von seiner Partei, der AKP, als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im August nominiert.
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Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan wurde am Dienstag von seiner Partei Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP) als Kandidat zu den im August stattfindenden Präsidentschaftswahlen aufgestellt. Während in türkischen Zeitungen große Diskussionen stattfinden, was ein Wahlsieg Erdoğans, der als sicher gilt, auslösen könnte, halten sich deutsche Redaktionen eher zurück.

Am vorsichtigsten sind die Süddeutsche und die FAZ, sie nennen nur die wichtigsten Fakten ohne auf die möglichen Auswirkungen deutlicher einzugehen. Erwähnt werden vor allem die Erfolgschancen Erdoğans, die laut Umfragen, die ihm einen Stimmenanteil von über 50 Prozent prognostizieren, wie eine beschlossene Sache aussehen. Selbst bei knapp weniger als der Hälfte der Stimmen stünde sein Sieg so gut wie fest. Allerdings könnten die Wahlen in eine zweite Runde gehen, vor welcher der voraussichtlich drittplatzierte Kandidat Selahattin Demirtaş ausscheiden würde.

Leise Zweifel werden bemerkbar

Die FAZ legt außerdem einen Fokus auf den jüngsten Gesetzesentwurf des Premierministers, der die laufenden Friedensverhandlungen mit der kurdischen Terrororganisation PKK auf eine gesetzliche Basis stellen soll. Diese Aktion wird zwar von der Zeitung als Köder für kurdische Stimmen bezeichnet, aber nicht weiter kritisiert. Am Ende des Artikels wird dennoch ein leiser Zweifel bemerkbar. Über Erdoğans Pläne, ein Präsidialsystem einzuführen und damit alle Fäden der Türkei in seinen Händen zu halten, schreibt die FAZ: „Erdogan will auch in diesem Amt die Macht behalten, und so wird er dessen Befugnisse bis zum Rande des gesetzlich Zulässigen ausschöpfen – mindestens.“

Der Tagesspiegel steigt in seinem Artikel mit den Feierlichkeiten rund um die Kundgabe von Erdoğans Kandidatur ein und will damit zeigen, wie beliebt und siegessicher der Premierminister ist. Die Zeitung zitiert dazu den Wahlforscher Adil Gül. Diesem zufolge gilt die Wahl Erdoğans auch deswegen als sicher, da viele Oppositionsanhänger angesichts Erdoğans ungebrochener Beliebtheit resignieren und nicht an der Wahl teilnehmen könnten. Der Artikel endet mit einem Verweis auf die Konflikte in den Nachbarländern Irak und Syrien, in denen seit drei Wochen 80 türkische Staatsbürger von der Terrorgruppe Isis festgehalten werden. Erdoğan habe eine Nachrichtensperre verhängt, damit sich das Thema nicht negativ auf seine Wahl auswirke.

„Er hat die Presse eingeschüchtert“

Spiegel Online hält den Premierminister für einen machthungrigen Mann: „Nach AKP-Regeln ist ihm eine vierte Amtszeit als Regierungschef aber verwehrt. Dann eben der Job als Präsident.“ Das Nachrichtenmagazin sieht den Grund für seine Beliebtheit in dem wirtschaftlichen Erfolg, den er dem Land beschert habe. Trotz Korruptionsvorwürfen werde er wahrscheinlich die Wahl gewinnen. Die taz erklärt sich die vielen Anhänger durch sein Charisma: „Wo Erdoğan polarisiert, ist er der Moderator, nach dem sich auch bei den Konservativen viele sehnen.“

Auffällig ist, dass in kaum einem Artikel klar Stellung bezogen wird. Der Fernsehsender N24 stellt hier eine Ausnahme dar. Auf der Webseite heißt es: „Er hat das Militär geschwächt, das Justizsystem umgebaut und die Presse eingeschüchtert.“

„Ende der kemalistisch-säkularen Ära“

Auch die Wiener Tageszeitung „Die Presse“ wagt sich an eine eindeutige Prognose: „Die Kemalisten haben immer schon befürchtet, dass Erdoğan die säkulare Republik in einen religiösen, gar repressiven Staat umwandeln wird. Erdoğans autokratischer, religionsbetonter Regierungsstil in den vergangenen Jahren hat diese Annahme nur verstärkt. Nun kommt mit der Präsidentschaft ein weiterer Indikator dazu: Denn Erdoğan will Präsident mit dem Gewicht eines Premiers sein, er will als übermächtige Figur wahrgenommen werden, was bisher nur Atatürk vorbehalten war.

Inhaltlich wird Erdoğan freilich nicht in die Fußstapfen des Staatsgründers treten. Er hat seine eigene Handschrift. Und mit ihm als mächtigem Präsidenten wird die Republik endgültig das Ende der kemalistisch-säkularen Ära einläuten.“

Ob weitere Medien eine klare Stellung beziehen werden, wird sich in den nächsten sechs Wochen bis zur Wahl am 10. August zeigen.