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Politik

Die Gülen Bewegung und ihr Standpunkt beim Putsch vom 15. Juli

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von Ahmet Dönmez

Seit Monaten schreibe ich über den Putsch vom 15. Juli und stelle Fragen über Fragen. Als Journalist möchte ich die offiziell diktierte Version in Frage stellen und versuchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Es gibt nur eine Wahrheit, die mehrere Perspektiven haben kann. Die Wahrheit setzt sich aus den Einzelteilen zusammen, die zu einem Gesamtbild führen. Der Verdacht, dass dieser Putsch durch die im türkischen Staat verfestigte eurasische Gruppe und der AKP organisiert wurde und daher ein kontrollierter Putsch war, verfestigt sich nach und nach, da Erdoğan, der türkische Geheimdienstchef und der Generalstabchef den Putsch hätten verhindern können, dies jedoch bewusst unterlassen haben. Das der Putsch zur Abendzeit um 20:30 Uhr begann und zivile Verluste in Kauf genommen wurden, deutet darauf hin, dass dieser Putsch durch Erdoğan in Schirmherrschaft des türkischen Geheimdienstes geplant zu sein scheint. 

Ist bei diesem Gesamtbild keine Verbindung zur Gülen Bewegung zu finden? Ist sie doch eine Organisation, die eine weiße Weste hat? Wo findet man einen Zusammenhang zur Gülen Bewegung bei dem Putsch vom 15. Juli? Dass hinter dem Putsch die Gülen Bewegung steht, ist in der Türkei unumstritten. Diese Anschuldigung findet jedoch im Ausland wenig Gehör. Liegt die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Behauptungen? Wieso werden auf Fragen keine Antworten gegeben, die den Verdacht gegenüber der Gülen Bewegung aufklären würden? 

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, werde ich mich an den geschichtlichen Ereignisse im Kontext der Hintergründe langsam vortasten. 

Damit ein Verständnis für das Gesamtbild entsteht, ist es meines Erachtens wichtig, die Geschehnisse der Vergangenheit in Meilensteine aufzuteilen und den Versuch zu unternehmen, mit diesen einzelnen Puzzleteilen ein Gesamtbild zu rekonstruieren.

Die Hintergründe des 15. Juli reichen bis zum 28. Februar 1997 zurück

1. Für mich beginnt der Putsch vom 15. Juli bereits am 28. Februar 1997

Der Pensionierte Oberst Dursun Çiçek, der früher in der psychologischen Kriegsabteilung des Generalstabschefs gearbeitet hat, hat zugegeben, dass das eigentliche Ziel am 28. Februar 1997 die Gülen Bewegung war. In einem Interview mit dem Hürriyet Journalisten Ahmet Hakan am 23. März 2016 sagt Dursun Çiçek, dass „der Ziel des sogenannten postmodernen Staatsstreichs die Reaktionäre waren“. Mit den Reaktionären waren zu 80 % Gülen Anhänger gemeint. 

Wenn dies der eigentliche Zweck des Putsches von 1997 war, stellt sich die Frage: wieso hat man dieses Ziel bisher nicht erreicht? Das liegt vor allem daran, dass das Militär sich damit schwer tat, die Gülen Bewegung zu verstehen und sie für sich zu beschreiben. Daher war es für sie wichtig, die Bewegung in eine Form zu bringen, wodurch die Organisation greifbarer und sichtbarer wird. 

Die AKP Regierung hat hierzu eine sehr gute Grundlage geboten. Vereinzelte Mitglieder der Bewegung haben begonnen, aufgrund ihrer persönlich guten Verhältnissen zur AKP, Namen aus ihren Kreisen preiszugegeben. Schließlich zeichnete sich ein Gebilde einer AKP ab, die keine Basis in der Bürokratie besitzt, und im Gegensatz dazu eine Bewegung, die über die passenden qualifizierten Personen verfügt. Die AKP forderte für verschiedene Positionen im Staatsdienst Personen an und einzelne Personen aus der Bewegung übergaben ihnen Namenslisten mit geeigneten Kandidaten. Unter ihnen entwickelten einige charakterschwache Personen persönliche Interessen und nutzten für eine größere Einflussnahme und der Ausweitung ihres eigenen Netzes ihre Ämter außerhalb ihres Zweckmäßigkeitsverhältnisses aus und verkamen immer mehr zu, von Hochmut geplagten Persönlichkeiten.

Die Beschlüsse des Nationalen Sicherheitsrates von 2004 und der Dolmabahce Gipfel

2. Am 25. August 2004 hat der Nationale Sicherheitsrat (MGK) beschlossen, die Gülen Bewegung fertig zu machen. Unter diesem Beschluss waren die Unterschriften des damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan und anderen AKP Abgeordneten zu finden. 

Der Beschluss zur Verfolgung von „unbewaffneten“ Terrororganisationen wird im Nationalen Sicherheitsrat (MGK) bereits in 2004 beschlossen. Experten gehen davon aus, dass mit „unbewaffnete“ Terrororganisation vor allem die Gülen-Bewegung gemeint war.

3. 2007 haben sich Erdoğan und der damalige Generalstabschef der türkischen Streitkräfte Yaşar Büyükanıt im Dolmabahçe Palast getroffen. Das Gespräch, das im Büro des Ministerpräsidenten stattfand, dauerte 2,5 Stunden, dessen Inhalt immer noch ein großes Geheimnis ist. Beide sagten damals, dass der „Inhalt dieses Gespräches ein Geheimnis bis ins Grab bleiben“ werde. 

Laut Abdülkadir Özkan, dem Berater des Ministerpräsidenten, wurde an diesem Tag die Entscheidung gefällt, die Gülen Bewegung zu beseitigen. In einem Interview mit der Habertürk Journalistin Kübra Par sagte Abdülkadir Özkan am 21. Februar 2017, „dass der Generalstabschef Büyükanit (den damals Ministerpräsidenten) Recep Tayyip Erdoğan davon überzeugt hat, die Gülen Bewegung zu beseitigen“. Allerdings, so Özkan, wurden konkrete Schritte für die Auflösung der Gülen-Bewegung wegen den beginnenden Ergenekon-Prozessen zunächst verschoben. 

Erdoğan begann 2010 mit der Beseitigung der Gülen Bewegung

4. 2010 begann Erdoğan die Pläne zur Beseitigung der Gülen Bewegung in Gang zu setzen. Dies hat er in mehreren Interviews und Ansprachen selbst zugegeben. Ergo, der Kampf gegen die Gülen Bewegung begann nicht, wie durch die Öffentlichkeit fälschlich angenommen, erst mit den Korruptionsermittlungen am 17/25 Dezember 2013, sondern schon viel vorher. Als Erdoğan sich in einer emotionalen Rede in Richtung Fethullah Gülen für das großartige Engagement der Bewegung beim Referendum zur Verfassungsänderung in der Türkei bedankte, leitete der Politiker zeitgleich den Startschuss für die Säuberung der Bewegung ein.

Erdoğan hat am 03. August 2016 in einer Rede gesagt: „Diese Organisation hat ganz andere, heimtückische Absichten, als uns bislang bekannt war. Wir haben lange Zeite nicht gesehen, dass sie derart arglistige Pläne hegen. Um ehrlich zu sein, habe ich bereits in 2010 diese Einschätzungen vielen Freunden in höheren Positionen mitgeteilt und unsere Einstellung ihnen gegenüber hat sich geändert“. Einen Tag später hat Erdogan in einem Interview beim staatlichen Sender TRT verkündet: „Ich sage das schon seit 2010, wie sehr diese FETÖ Organisation vernetzt ist und sich ausgebreitet hat. Jedoch tat ich mich damit schwer, dies meinen Parteifreunden zu erläutern“. Beim russischen TV Sender Tass und dem staatlichen Fernsehen Rossiya 24 sagte Erdogan: „Ab 2010 haben wir uns ernsthaft um dieses Thema gekümmert. 2010 haben wir entschieden, die Bildungseinrichtungen dieser Bewegung zu schließen, ab diesem Zeitpunkt haben sie ernsthaft Angst bekommen“. 

Diese Bemühungen wurden durch einige gelobt. Hierzu gehört auch der ehemalige Generalstabschef Ilker Başbuğ, der am 02. August 2016 ein Interview bei CNN Türk gab, in dem er sagte, das Erdoğan seit 2012 gegen die Bewegung ganz alleine einen Krieg führt. 

„Wir werden uns an eurer ganzen Sippschaft rächen“

5. In diesen Jahren wurde die bislang geheim gehaltene Koalition der Regierung mit Ergenekon öffentlich demonstriert und ein gemeinsamer Weg begann. 

Im Internet tauchte eine Audiodatei von Vizeadmiral Kadir Sağdıç auf, der wegen dem Balyoz-Prozess eine Gefängnisstrafe absaß: „Bei uns gibt es sehr interessante Entwicklungen. Auch im Militär. Wir werden ihre Mütter ficken“. 

Eine weitere Gesprächsaufzeichnung kam am 24. Mai 2012 zum Vorschein. Darin zu hören ist Brigadeadmiral Fatih Ilgar, ebenfalls Verurteilter im Balyoz-Prozess. „In ein bis zwei Monaten werden Gesetze beschlossen, die uns zu Entlassung verhelfen werden. So sind die Informationen und auch die Anzeichen zu verstehen. Sobald wir entlassen werden, haben wir sehr gute Pläne. Wenn es so sein muss führen wir einen blutigen Krieg. Dieses Land wird entweder durch eine Wirtschaftskrise oder durch einen Bürgerkrieg resettet“. 

4 Tage später tauchte eine Tonbandaufnahme des inhaftierten Generalmajors Cem Aziz Çakmak auf. Çakmak ist darin wie folgt zu hören: „Gott möge diesen Leuten keine Möglichkeit mehr geben sich zu revanchieren. Wir werden dieses Mal bei unserer Revanche keine Fehler mehr machen. Also, Atatürk sagte, „wenn irgendwo ein Aufstand passiert, verschont niemanden, nimmt ihnen auch die Kinder, nimmt die ganze Stadt“. Der Mann ist weitsichtig. Sogar die Kinder. So ist das Geschäft. Sie sind am schwächsten, wenn sie sich am sichersten fühlen. Ich weiß nicht, wie lange wir noch leiden müssen. Ich glaube nicht, dass dieser Prozess lange andauern wird. Das sagen meine Informationen. Mal schauen, wieviel sie freilassen werden oder ob sie uns freilassen werden? Auch wenn es nicht auf Anhieb klappen sollte, wird es nicht mehr lange dauern. Das sind die Informationen die ich bekommen habe. Das sind sichere Quellen. Die Abrechnung ist nah. In ein bis zwei Jahren wird sich das Blatt komplett wenden. Ich sage dir das jetzt. Du kannst dann irgendwann sagen, dass dir das dein Major prophezeit hat. Sie werden fliehen. Sie werden aus diesem Land fliehen. Die Revanche wird ganz anders laufen. Es werden viele Leiden. Zwei Jahre sind zu lange, vielleicht sogar schon in einem Jahr. Wenn wir erst mal hier rauskommen, wird die Abrechnung mit denen da draußen ganz anders ablaufen. Weißt du was der erste Plan ist? Sie werden verhungern. Ich sage es dir, sie werden verhungern. Alles wird damit beginnen.“

Notizen

1. Befürworter der Shanghaier-Organisation. Insbesondere Doğu Perinçek und seine Partei 

2.  28.Februar 1997 sog. „postmoderner Staatsstreich“

3. Balyoz-Prozesse: war der Name eines Planes oder Planspiels der türkischen Streitkräfte. sie hätten das Ziel, die vom 18. November 2002 bis 14. März 2003 amtierende 58. Regierung der Republik Türkei zu stürzen.