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Bildung & Forschung

Elite-Uni ODTÜ in Ankara: Das „D“ steht für Revolution

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In Ankara ist eine der renommiertesten Universitäten der Welt. Bekannt ist sie aber nicht nur für ihre hohen Ansprüche an Lehre und Forschung, sondern auch für ihren progressiven und widerständigen Geist. Deshalb ist sie seit langem im Visier der Regierung.

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Stadion der Ankaraner Universität ODTÜ
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„Als wir in einer Nacht- und Nebelaktion die Buchstaben auf die Stufen sprühten, wollten wir sichergehen, dass sie nimmer mehr weggewischt werden. Das war in einer Oktobernacht 1968.“

Mete Ertekin war damals Chemiestudent und hatte zusammen mit einigen anderen Studenten Geschichte geschrieben, als er bis zum Morgengrauen in 50 Meter großen Buchstaben das Wort D E V R I M auf die Stufen des Stadions der Middle East Technical University (METU) in Ankara gemalt hat. Die METU, auf Türkisch ODTÜ (Orta Doğu Teknik Üniversitesi), gilt als die beste Universität der Türkei und ist eine der renommiertesten der Welt.

Zu dem Zeitpunkt revolutionär, über die nächsten Dekaden immer wieder ein Skandal für verschiedene Regierungen. Nachdem mehrere Versuche fehlgeschlagen waren, die Stufen von der Schrift zu befreien, wurde zu offiziellen Anlässen der Buchstabe D verdeckt:

Aus DEVRIM wurde EVRIM, also Evolution statt Revolution.

D steht auch für Demokratie

Die Schrift, besonders die Stufen mit dem Buchstaben D,  wurden seitens der Studenten immer wieder verteidigt. „Wir sind eine Universität des Fortschritts, der Aufklärung und des freien Denkens“, äußerten selbst Professoren und Institutsleiter, die Seite an Seite mit den Studenten über Jahrzehnte immer wieder auf die Vollständigkeit der 5 Buchstaben bestanden. „Das D steht gleichzeitig für Demokratie“, betonen Professoren und Alumni immer wieder.

Das Stadion der ODTÜ ist nicht nur wegen seiner Lettern berühmt. Es ist das Herzstück der Universität. Seit ihrer Gründung im Jahr 1956 wurden hier viele Feste gefeiert, viele Konzerte gegeben. Das alljährlich stattfindende mehrtätige Frühlingsfest „Bahar Şenliği“ ist eines der legendären Ereignisse, bei dem Sportturniere, Ausstellungen und Konzerte gezeigt werden: Nur wenn Größen wie Duman, Sezen Aksu, Moğollar oder Tarkan auftreten, ist vom D kein Zentimeter mehr zu sehen.

An die ODTÜ kommt man nur mit Köpfchen, nicht mit Knete

Die 1956 gegründete Universität wurde von den USA finanziert und mitkonzipiert. Dementsprechend ist Englisch die Unterrichtssprache. Wer dort einmal studiert hat, kann über vieles nicht mehr hinwegsehen, vor allem nicht über die derzeitigen politischen Verhältnisse in der Türkei.

Denn die ODTÜ bildet Menschen nicht in erster Linie für den Arbeitsmarkt aus sondern für das Leben. Landesweit ist sie unumstritten die beste Universität. Im weltweiten Ranking gehört sie zu den besten 100 Universitäten wegen ihrer top ausgebildeten Professoren aber auch wegen ihrer hohen Anforderungen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten „kommt man hier nur mit Köpfchen rein, nicht mit Knete“, wie es einmal einer meiner Mitstudenten so schön auf den Punkt gebracht hat. Damit spielt er auf die Aufnahmebedingungen anderer Hochschulen ein, die vorrangig Studenten aus gutsituiertem Elternhause ausbilden.

An der ODTÜ bekommt man nichts geschenkt. Auf geisteswissenschaftlichem Gebiet haben Studenten ein hohes Arbeits- und Lektürepensum zu bewältigen: 500 Seiten Lektüre in 5 Fächern pro Woche. Zu dem kommen Zwischen- und Abschlussprüfungen (mid-terms und final terms), zusätzliche mündliche Prüfungen und Präsentationen mit anschließender Fragen- und Kritikflut seitens der Mitstudenten und Professoren, die bis zu anderthalb Stunden betragen können, sorgen dafür, dass die Studenten über Jahre Tag und Nacht büffeln müssen. Mit 500 000 gedruckten Büchern und weiteren 300 000 Medien hat die ODTÜ landesweit die größte Bibliothek. Die Literatur ist hauptsächlich englischsprachig.

Wer es hierher schafft und den Abschluss macht, wurde daher nicht nur in der Türkei sondern weltweit mit Kusshand eingestellt.

„Wir müssen für unsere akademische Unabhängigkeit kämpfen“

Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Die ODTÜ, die durch ihre lebendige 68er-Mentalität besonders der konservativen Fraktion ein Dorn im Auge war, steht seit Jahren auf der schwarzen Liste der Regierung.

Nicht zuletzt, weil Erdoğan 2012 von revoltierenden Studenten empfangen wurde, die ihn zum Anlass der Einweihungszeremonie des Satelliten Göktürk-2 nicht auf dem Campus sehen wollten. Als er mit Protestplakaten und Buh-Rufen empfangen wurde, hat der damalige Ministerpräsident 3.000 Polizisten und 8 Wasserwerfer mobilisiert, die ihm den Weg freiräumen und den Studenten „eine Lektion“ erteilen sollten. Auch wenn die Zusammenstöße Wirkung gezeigt haben, und Erdoğan nicht pünktlich um 18.13 Uhr an der Livesendung auf dem Campus teilnehmen konnte, so waren die Folgen dennoch fatal. Es gab während der Demonstrationen viele Verletzte. Durch den Einsatz von Gasbomben lag Barış B., einer der Studenten, mehrere Tage im Koma. Er erholte sich von den Verletzungen, wurde aber zusammen mit weiteren 45 Studenten angeklagt. Die Anwälte Erdoğans forderten 6 Jahre Haft, die angeklagten Studenten wurden schließlich im Winter 2013 wegen „Beleidigung des Präsidenten und Volksverhetzung“ zu 10 Monaten Haft verurteilt.

Nach diesen Ereignissen nahmen die Proteste gegen die AKP und im Speziellen gegen Erdoğan zu. Den Auftakt bildeten die landesweiten Gezipark-Proteste. Danach folgten weitere Demonstrationen wegen der Autobahn, die 2013  mitten durch den Campus gebaut werden sollte. 3000 Bäume sollten dafür eigens über Nacht gefällt werden. Studenten der ODTÜ standen auf den Barrikaden, schlugen Zelte im Wald auf um, die „Lunge“ der Universität, wie der Wald genannt wird, zu schützen. Unter Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas wurden die heftigen Proteste niedergeschlagen. Nach Festnahmen von 26 Studenten wurde auch dieses Bauprojekt schließlich durchgesetzt.

Bildung geht vor den Bau von Moscheen

2 Jahre später kommt es erneut zu großen Protesten, diesmal weil religiöse Studenten behaupteten, sie würden angegriffen und diffamiert werden, weil sie an der Universität beten. Dabei galt der Protest dem geplanten Bau zweier Moscheen und dem Ausbau weiterer 15 Gebetsräume. Als Erdoğan die protestierenden Studenten bezichtigte, IS-Mitglieder und Unterstützer von Terroristen zu sein und YÖK (der Hochschulrat der Türkei) dazu aufforderte, solche Aktionen zu  verfolgen und zu bestrafen, versammelten sich laut der Zeitung „Birgün“ die Sprecher verschiedener Fakultäten beim Rektor und bestanden auf ihren Forderungen: „Wir sind nicht gegen das Beten an der Uni, genausowenig wie wir gegen unsere Mitstudenten sind, die ihren Glauben praktizieren. Es gibt nur bereits genug Gebetsräume für Studenten. Der Bau von Moscheen und weitere Gebetsräume sind unnötig. Diese sollten nicht Priorität haben, während es an der Uni an ausreichenden Lehrräumen und Hörsälen mangelt.“

Sie sind ODTÜ-Studenten, die aufgrund ihrer guten Leistungen an der Universität angenommen worden sind, und wollen mit genauso guten Leistungen das Studium absolvieren dürfen.

Ganz gleich ob mit oder ohne Kopftuch: An die ODTÜ kommt man nur mit Köpfchen

Im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten „kommt man hier nur mit Köpfchen rein, nicht mit Knete“, wie es einer meiner Mitstudenten einmal schön auf den Punkt gebracht hat. Damit spielt er auf die Aufnahmebedingungen anderer Hochschulen an, die vorrangig Studenten aus gutsituiertem Elternhause ausbilden. Es verdeutlicht aber auch, dass die Kopfbedeckung keine Rolle unter den Studenten spielt. Studenten, ganz gleich welcher Gesinnung oder Religion sie angehören, verurteilen einander nicht, sie reden miteinander und diskutieren die Probleme. „Ein großer Unterschied zu dem, was in den Medien polemisch dargestellt wird und Erdoğan nutzt, um die Massen gegeneinander auszuspielen“, wie ein Student der ODTÜ meint. „Wir wollen alle eine gute Bildung und sind bereit, dafür viel zu leisten.“

METU Studenten werden von vielen als aufrührerisch betrachtet. Dementsprechend sind sie im Visier der Regierung. Besonders Erdoğan, der nach dem Putschversuch noch im gleichen Monat einen neuen Rektor ernannt hat, scheint alles daran zu setzen, den „aufrührerischen ODTÜler“ endgültig einen Riegel vorzuschieben. Bereits mehrmals hat er sie als „ungezogenes Pack“ beschimpft und die Professoren scharf kritisiert. „Wenn das die Besten unseres Landes sein sollen, dann ist die Türkei dem Untergang geweiht“, zitierten ihn 2015 die Zeitungen.

Der Druck auf die METU ist daher groß, die Uhr tickt.

Präsident Erdoğan ernennt die Rektoren. Das hat die Türkei bis heute nicht erlebt.

Doch große Teile der Studenten und des Lehrperonals sin mittlerweile müse: „Die Türkei rast unmittelbar in den Abgrund aufgrund des Fehlmanagements der AKP und des Größenwahns Erdoğans“, klagt ein eremitierter Professor, der nicht genannt werden will, „und uns werden die Hände gebunden. Jetzt werden selbst die Schuldirektoren des Landes, einschließlich der ODTÜ als einer der aufklärerischsten, modernsten und fortschrittlichsten Universitäten weltweit, vom Staatspräsidenten ernannt. Das hat die Türkei bis heute nicht erlebt.“ Studenten und Dozenten mögen müse sein. Doch sie geben noch nicht auf. Sie protestieren weiter.

Als Reaktion auf die Proteste seitens der Studenten in verschiedenen Medien hat der von Erdoğan direkt nach dem Putschversuch ernannte neue ODTÜ-Direktor zum Jahresende auf seinem Twitteraccount eine Erklärung abgegeben: Der Lehrbetrieb werde wie bisher ohne Einschränkungen weitergehen.

Es bleibt abzuwarten, wie lange die Professoren noch den Lehrplan aufrecht erhalten und uneingeschränkt lehren dürfen: „Wir befinden uns in schwierigen Zeiten. Wir werden aber weiterhin für unsere akademische Unabhängigkeit kämpfen. Nur so können die nächsten Generationen in Freiheit aufwachsen und sich bilden“ , hieß es seitens vieler Dozenten, die weiterhin am Lehrbetrieb teilnehmen und einen Beitrag leisten wollen, damit auch die derzeitige Generation noch gute Zeiten erlebt.