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Politik

Ergenekon will angeblich „Erdoğan abservieren“

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Die Türkei durchläuft seit vielen Jahren turbulente Phasen und kommt nicht zur Ruhe. Sowohl in der Innen-, als auch in der Außenpolitik hat sich das Land in komplizierte Konflikte verstrickt. Das macht sich auch in der Wirtschaft bemerkbar. Die Kaufkraft der Bevölkerung schrumpft, der Wert der türkischen Lira sinkt und die Regierung gibt Durchhalteparolen heraus anstatt an konkreten Lösungen zu arbeiten. Zuletzt wurde der Regierung um Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gar unterstellt, einen Anstieg der Lira gegenüber dem Dollar durch den Abverkauf von 4,5 Milliarden Dollar aus den Kassen der Staatsbanken billigend in Kauf genommen zu haben. Ein illegaler Vorgang.

Imamoğlu beendet Erdoğans Höhenflug

Während Erdoğan in der Vergangenheit die Probleme mit seiner Popularität und seinem Charisma weitgehend kaschieren konnte, sieht das inzwischen anders aus. Die Wahlniederlage von Istanbul hat ihm zusätzlich schwer zugesetzt. Wie berichtet hatte die AKP am 31. März nach mehr als 20 Jahren die Oberhand in der Istanbuler Stadtverwaltung an den verhassten Konkurrenten von der CHP verloren.

Ekrem Imamoğlu siegte zwar nur knapp, aber die Hohe Wahlkommission (YSK) überreichte dem neuen Publikumsliebling der türkischen Politik die offizielle Genehmigung – um sie ihm nur wenige Wochen danach mit der Annullierung seiner Wahl wieder zu nehmen. Der politische Druck durch Erdoğan war schlicht zu groß geworden. Am 23. Juni werden die Parteien nun noch einmal um die Gunst der Wähler in der Weltmetropole ringen.

Zeichen stehen auf Umbruch

Die Entscheidung, die Wahl zu wiederholen, hat die AKP Energie und auch Sympathiepunkte gekostet. Die Bevölkerung nimmt es Erdoğan übel und betrachtet den Präsidenten mehr als zuvor als einen Risikofaktor für die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die Umfragewerte von Forschungsinstituten wie Konsensus und MAK zeichnen ein deutliches Bild: Der Stimmenanteil, die Popularität und die Glaubwürdigkeit von Ekrem Imamoğlu legen permanent zu, während die der AKP in den selben Kategorien abnimmt. Einige Journalisten prophezeien mittlerweile eine klare Niederlage für den AKP-Kandidaten Yıldırım. Die Zeichen stehen auf Umbruch in der Türkei, wenn der sonst so unbesiegbar scheinende Recep Tayyip Erdoğan Istanbul ein zweites Mal verliert.

Ahmet Nesin: „Erdoğan, Ergenekon wird dich abservieren“

Ahmet Nesin, ein renommierter Journalist und Experte, der über das türkische Militär und den sogenannten „Tiefen Staat“ schreibt, beleuchtet in seiner aktuellen Kolumne für das Exil-Medium artıgerçek die politischen Diskussionen hinter den Kulissen. Demnach werde in den „dunklen Ecken von Ankara“ gemunkelt, dass Ergenekon den türkischen Präsidenten Erdoğan „bald abservieren“ werde. Sein Vertrauenspartner Devlet Bahçeli sei in diese Pläne involviert.

„Nach allem, was ich gehört habe, bereitet sich Ergenekon gemeinsam mit der MHP darauf vor, dich vor die Tür zu setzen“, schreibt Nesin zu den angeblichen Plänen des mutmaßlichen Geheimbundes, dessen Mitglieder vor einigen Jahren wegen Putschplänen verurteilt, dann aber wieder rehabilitiert wurden. In Anlehnung an den Solidaritäts-Hashtag für Ekrem Imamoğlu „Alles wird sehr schön werden“ (#herseyçokgüzelolacak), spricht Nesin in seinem Beitrag davon, dass der Abgang Erdoğans „noch viel schöner werden wird!“.

Erdoğan erklärt seinen Werdegang für abgeschlossen

Nesin schildert, welche Personen sich von Erdoğan abgewandt haben und mit wem er sich nun umgibt. „Abdullah Gül, Ihr alter Weggefährte und Altpräsident distanziert sich von Ihnen, genauso wie Bülent Arınç, der in den wichtigsten Debatten eher zu Gül hält.“ Dazu habe Erdoğan zunächst der EU den Rücken zugekehrt, dann die NATO links liegen lassen und sich anschließend dem Shanghai Five-Bündnis angenähert.

Seine (Personal-)Politik sei kaum noch nachzuvollziehen, so Nesin. Der Präsident habe sich mit Leuten umgeben, die ihn früher beleidigt und verflucht hätten. Anschließend habe er verkündet, dass er nun alle Erfahrungsstufen hinter sich gebracht habe und nach den langen Lehrjahren ein echter Meister geworden sei. „Ja, welch eine Meisterleistung. Sie schreien es ja förmlich aus sich heraus: Ich alleine tauge zu nichts!“

Nesin behauptet, dass seine einstigen Gegner, mit denen Erdoğan sich inzwischen umgeben habe, davor stünden, den Spieß umzudrehen und ihn vor die Tür zu setzen. Die Idee, die Wahl in Istanbul wiederholen zu lassen, stamme von ihnen. Denn sie wüssten, dass mit einer weiteren Niederlage der Abgang Erdoğans unausweichlich werde. Konkreter wird Nesin in seinen Ausführungen nicht.

Was ist Ergenekon?

Als Ergenekon wird ein mutmaßlicher Geheimbund bezeichnet, dessen Ziel es gewesen sein soll, die AKP-Regierung unter dem damaligen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen. Ihren Anfang nahm der Prozess, als die Polizei im Juni 2007 in einem Haus im Istanbuler Stadtteil Ümraniye Granaten und Sprengstoff entdeckte. Nachdem ein Sonderstaatsanwalt Ermittlungen aufgenommen hatte, wurden mehrere Offiziere verhaftet und in der Öffentlichkeit das Ergenkon-Netzwerk bekannt. Mit Fortschreiten der Ermittlungen kam es in den darauffolgenden Monaten und Jahren zu einer Verhaftungswelle und der Veröffentlichung immer weiterer Details Ergenekons.

Ergenekon plante Putsche in der Türkei

Im Juli 2011 wurde vor der 13. Großen Strafkammer für schwere Straftaten in Istanbul Anklage erhoben. Dem Netzwerk wurde vorgeworfen, mehrere Pläne für Staatsstreiche ausgearbeitet und diese vorbereitet zu haben. Plan sei es gewesen, die innenpolitische Lage in der Türkei mittels einer Strategie der Spannung derart zu destabilisieren, dass das Militär eine Rechtfertigung hätte, erneut gegen die Regierung zu putschen (es wäre das vierte Mal gewesen) und die Macht im Land an sich zu reißen. Dazu sollen unter anderem Anschläge und Morde geplant gewesen sein, unter anderem am türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Heute hingegen sind die mutmaßlichen Ergenekon-Mitglieder wieder auf freiem Fuß und diejenigen, die sie einst belangt haben, gelten als Verräter.

Ahmet Nesin ist Journalist und Autor von zahlreichen Büchern. Er gilt als links und pro-kurdisch. Sein Vater ist der berühmte türkische Schriftsteller Aziz Nesin, der bei dem Brandanschlag einer sunnitisch-extremistischen Mehrheit auf das Madımak-Hotel in Sivas im Jahr 1992 verletzt wurde. 37 Menschen starben damals.