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Gesellschaft

Die gesellschaftlichen Kosten der Syrienkrise für die Türkei

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Die anhaltende Syrienkrise belastet die Türkei nicht nur finanziell durch die Notwendigkeit, Flüchtlinge zu versorgen und die Sicherheitsvorkehrungen zu intensivieren. Auch ein gesellschaftliches Konfliktpotenzial verstärkt sich. (Foto: zaman)

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Syrische Flüchtlinge beim Betteln in der westtürkischen Stadt Izmir.
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Die Syrienkrise wird zu einem Albtraum für die Türkei. Da die Neben- und Folgewirkungen des längst über die Grenzen geschwappten Konflikts nicht eingedämmt werden können, muss die Türkei erhebliche Kosten tragen.

Damit meine ich nicht nur finanzielle Kosten, sondern auch politische und soziale Risiken, die als Folgen der syrischen Krise entstanden sind.

Das, was die Syrer erlebt haben und immer noch erleben, ist eine menschliche Tragödie. Mehr als 100 000 Menschen wurden getötet und Millionen suchten Zuflucht in den Nachbarländern und in verschiedenen Teilen Syriens selbst. Das ist eine massive humanitäre Krise und vor diesem Hintergrund ist es unmöglich, gegenüber dem Leiden der betroffenen Menschen gleichgültig zu bleiben. Ich bin davon überzeugt, dass die Türkei und die internationale Gesellschaft mit den Mitteln, die ihnen zu Verfügung stehen, das Leiden der Flüchtlinge lindern sollten.

Doch das sollte uns nicht davon abhalten, Probleme, die im Zusammenhang mit der Krise stehen, zu identifizieren und Maßnahmen zu treffen, um sie zu lösen. Dies ist notwendig für die Türkei, da die Risiken der syrischen Krise eine große Herausforderung darstellen.

Bislang haben mehr als 500 000 Syrer Zuflucht in der Türkei gesucht. Dies ist eine enorme Zahl an Menschen für die Türkei, wenn es darum geht, sie finanziell und sozial zu betreuen. Es wurde berichtet, dass die türkische Regierung 1.5 Billionen $ allein für die Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben hat. Der finanzielle Aufwand der Türkei für die Unterstützung der oppositionellen Kräfte ist weder bekannt noch wurde er von der Regierung offengelegt. Als einer der Hauptsponsoren der Opposition wendet Ankara wahrscheinlich nicht gerade wenig dafür auf. Eine weitere Milliarde oder mehr? Vielleicht.

Schmuggel und Schwarzhandel blühen an der Grenze

Am Anfang wurden die Flüchtlinge in Lagern untergebracht, doch als die Zahl unerwartet in jede vorherige Schätzung übersteigende Höhen stieg, war es unmöglich, sie alle in den Lagern unterzubringen. So wurden die Flüchtlinge von Mardin über Mersin in die Städte der Region verstreut. Man kann sie auch in Istanbul und Izmir finden, doch die meisten bleiben in der Provinz Hatay.

Vergessen Sie aber jetzt die Finanzen, hier spielt sich ein ernster demografischer Wandel ab, welcher der Türkei soziale, wirtschaftliche und politische Probleme zu bereiten scheint. Diese sind nicht unbekannt. Von Lateinamerika bis Asien sind „Gastländer“ von Kriegsflüchtlingen ähnlichen Schwierigkeiten begegnet. Massive grenzüberschreitende Bevölkerungsbewegungen bringen Probleme mit sich und es ist besser, nicht wegzusehen.

Die längste Grenze der Türkei, die Grenze zu Syrien, wurde zu einer Autobahn. Eine ausreichende Grenzkontrolle ist nicht mehr möglich. Menschen und Waren gehen fast ungehindert durch. Das führt zu sehr ernsten Sicherheitsproblemen. Schmuggel, eine übliche Praxis in der Region, wird nun massenweise ausgeführt. Bis zu 5000 Schmuggler überqueren die Grenzen auf Pferden und stoßen mit türkischen Soldaten zusammen, die die Grenze bewachen. Dies ist kein einfacher Schmuggel mehr, sondern eher eine schwarze Marktwirtschaft der Kriegsherren, welche die Türkei als Teil ihrer Politik der Unterstützung der Opposition in Syrien nicht aufhalten kann oder auch nur aufhalten würde.

Als Folge der anhaltenden Krise in Syrien stehen die türkischen Bürger vor noch größeren Sicherheitsrisiken. Dutzende von türkischen Zivilisten im Südosten der Türkei wurden bereits durch Artillerie-oder Gewehrfeuer von jenseits der syrischen Grenze getötet. Und noch schlimmer: Vor einigen Monaten tötete eine Explosion in Reyhanli 52 türkische Staatsbürger.

Das Land im Visier von Terroristen

Als Ergebnis der syrischen Krise ist es klar, dass die Türkei zum Ziel von terroristischen Angriffen wurde – seltsamerweise von beiden Seiten, sowohl von der al-Qaida als auch von Hisbollah. Nun ist es nicht selten, Nachrichten über die Beschlagnahme von Sprengstoff an der Grenze seitens der türkischen Polizei zu lesen. Die Türkei wurde in Folge der syrischen Krise unsicherer und dieser Zustand kann parallel zu den Ereignissen in Syrien eskalieren.

Die höchsten Kosten kommen jedoch als Auswirkungen der Krise in Form der Belastung der Beziehungen zwischen den Volksgruppen im eigenen Land auf die Türkei zu. Die ethnische Dimension des Krieges in Syrien vergiftet auch die Beziehungen zwischen Aleviten und Sunniten in der Türkei. Die Aleviten, insbesondere in der Grenzprovinz Hatay, zeigen dem Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ihre Solidarität und sind gegenüber der türkischen Regierung kritisch, da diese die Opposition unterstützt. Darüber hinaus betrachten sich die Aleviten – auch im Zusammenhang mit der Krise in Syrien – als Opfer von Gewalt seitens der Regierung in der Türkei, weil fünf Mitglieder der Alevitengemeinschaft, drei von ihnen aus Hatay, während der Gezi-Park-Proteste ums Leben kamen.

Die Gefahr besteht nur darin, dass die sozialen Unruhen unter den Aleviten sich zu einem Aleviten- und Sunniten-Konflikt entwickeln können. Dies ist das explosivste soziale Problem in der Türkei, welches von der syrischen Krise angeheizt wird.

Die Türkei trägt eine große Last.

İhsan Dağı ist ein renommierter Politikwissenschaftler und Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung „Zaman“.