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Politik

Medien in der Türkei: „Jeder hat Angst um seinen Job”

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Die jüngst bekannt gewordenen Enthüllungen über Interventionen der Regierung in die alltägliche Pressearbeit stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Dies bestätigt auch Fatih Altaylı von Habertürk im Gespräch mit CNN Türk. (Foto: reuters)

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Der Chefredakteur von Habertürk Fatih Altaylı.
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Am Montagabend trat der stellvertretende Chefredakteur von Habertürk, Fatih Altaylı, im Rahmen eines Liveprogramms mit dem Journalisten Cüneyt Özdemir beim privaten Fernsehsender CNN Türk vor die Kameras, um zur Situation der Medien in der Türkei Stellung zu nehmen. Ihm zufolge gibt es einen enormen Druck seitens der Regierung auf die Medien. Das Beispiel der Einflussnahme des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan auf seinen Kollegen Fatih Saraç sei dafür ebenso bezeichnend wie das angespannte Verhältnis zwischen Medienunternehmern und der Regierung.

Es gäbe tagtäglich irgendwelche Instruktionen, die auf die türkischen Medien einprasseln, so Altaylı, jeder habe Angst um seinen Job. Kein Medium in der Türkei könne heute von sich behaupten, nicht schon einmal Gegenstand von Interventionsversuchen seitens der Regierung geworden zu sein. Er selbst kenne die Situation seit 32 Jahren und dabei gäbe es eine Regel: „Je stärker die Regierung ist, umso intensiver sind die Interventionen.“ Die kürzlich bekannt gewordenen Fälle würden den Druck nur erstmals auf eine anschauliche Weise zeigen.

Der Mitbegründer des Presserates in der Türkei, Oktay Ekşi, äußerte sich indessen in Today’s Zaman zu den aktuellen Entwicklungen und meinte, „die Medien erleben derzeit ihre dunkelste Periode“. Seit 2007 habe die Regierung kontinuierlich den Druck auf die Medien verstärkt. „In dieser Atmosphäre habe ich es vorgezogen, meinen über fast 40 Jahre hinweg ausgeübten Beruf an den Nagel zu hängen“, so Ekşi, der 2010 nach 36 Jahren als Chefkolumnist der Hürriyet diese Tätigkeit aufgegeben hat.

Ein paar Prozent mehr für AKP und BDP

Vor einigen Tagen war auch enthüllt worden, dass Habertürk 2013 eine Meinungsumfrage manipuliert habe. Einem geleakten Gespräch zwischen Premierminister Erdoğan und Saraç zufolge soll eine Wahlumfrage der Firma Konsensus zu Gunsten der AKP und der pro-kurdischen BDP manipuliert worden sein. Saraç, der den Gesprächsprotokollen zufolge als Stimme der Regierung über Habertürk die Nachrichten verbreitet haben soll, die man von ihm erwartet habe – und solche verhindert, die man nicht gesendet sehen wollte, wie jene über den Zwischenfall von Uludere Ende 2011 – soll dem Inhalt der Aufnahme nach zugesagt haben, ein paar Punkte von der MHP und den Unentschlossenen wegzunehmen und den begünstigten Parteien zugeschlagen zu haben.

Mit den Enthüllungen konfrontiert zeigte sich Altaylı überrascht, aber auch verwundert darüber, dass überhaupt noch jemand so tue, als würde er Behauptungen über eine Intervention der Regierung in die Medien ungewöhnlich finden. Dass jetzt Gespräche geleakt würden, zeige nur, dass die Medienverantwortlichen eben versuchten, ihre Haut zu retten und den Weiterbestand ihrer Formate zu sichern. Altaylı zeigte sich entschlossen, seinen Kampf fortzuführen und sich nicht mundtot machen zu lassen.

Aksünger: „Von Beschwerden nicht überrascht“

Der CHP-Abgeordnete Erdal Aksünger (Izmir) erklärte, er sei über die Klagen hinsichtlich der Interventionen der Regierung in die Pressefreiheit in keiner Weise überrascht, zumal es bereits bekannt war, dass der Premierminister einen Newsticker stoppen ließ und die Entlassung von Journalisten veranlasste. „Wie kann man in dieser Situation noch von Pressefreiheit sprechen?“ fragte er und sah die Bemühungen des Premierministers, soziale Medien und das Internet durch neue Gesetze zu regulieren, als Teil einer Strategie, Kritikern die freie Verwendung der Medien zu erschweren. Auch der unabhängige Abgeordnete Hakan Şükür (Istanbul) betonte, die Aussagen Altaylıs sollten sowohl den Medienherausgebern als auch der Bevölkerung deutlich machen, dass es ein ernstes Problem gäbe.

Der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zufolge rangiere die Türkei auf Platz 154 von 180 Ländern, wenn es um die Pressefreiheit gehe.

Welches Geld steckt hinter der Turkuvaz-Gruppe?

Der stellvertretende MHP-Vorsitzende Yıldırım Tuğrul Türkeş fand Zeit und Inhalt der Altaylı-Enthüllung „bedeutsam“, sie würde eine Form des „Mea Culpa“ darstellen. „Altaylı hat bestätigt, dass er Anweisungen von den politisch Mächtigen und deren Handlangern bekommen habe, um Vorteile für die Mediengruppe zu erhalten, für die er arbeitet“.

Altaylı wies unterdessen auch Rücktrittsforderungen von seiner Position als stellvertretender Chefredakteur zurück. „Was wird passieren, wenn ich gehe? Wird das gesamte Medienunternehmen an den Pool fallen?“ Mit dieser Bezeichnung wird der angeblich mit vielen Millionen Dollar gegründete Medienpool „Turkuvaz Media Group“ umschrieben, den die AKP-Regierung und eine ihr nahestehende Gruppe von Geschäftsleuten ins Leben gerufen haben sollen und die bereits die Tageszeitung Sabah und den Kanal ATV besitzt. Die Gründung der Gruppe soll den Behauptungen in einigen türkischen Medien zufolge unter anderem mithilfe von Bestechungsgeldern erfolgt sein, welche Unternehmen im Gegenzug zum Erhalt öffentlicher Aufträge an die Regierung gezahlt haben sollen.