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Politik

„Das Volk will es“: Reaktionen auf Erdoğans „Hexenjagd“

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Die Äußerungen des Premierministers Erdoğan, er wäre auch zu einer „Hexenjagd“ bereit, wenn das Vorgehen gegen eine „Parallelstruktur“ im Staat eine solche darstellen würde, haben ein breites kritisches Echo in der Öffentlichkeit gefunden. (Foto: dha)

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Der türkische Premierminister Erdogan.
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Die Äußerungen des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan, er wolle gegen die von ihm mit der Hizmet-Bewegung in Verbindung gebrachte „Parallelstruktur“ innerhalb des Staatsapparats, die unter anderem für eine Reihe von Indiskretionen und illegale Veröffentlichungen von Gesprächsaufzeichnungen verantwortlich sein soll, erforderlichenfalls mittels einer „Hexenjagd“ vorgehen, stießen auf scharfe Kritik seitens zahlreicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

Mustafa Kamalak, der Vorsitzende der Saadet Partisi („Partei der Glückseligkeit“), meinte zu Erdoğans Äußerungen, dass, wenn in der Türkei so eine Hexenjagd gestartet werde, „sie diejenigen sein [würden], welche als Erste in den Kessel kommen“. Der Staat lasse keine Hexenkessel kochen, sondern bediene sich der Ausübung rechtlicher Befugnisse. Der Begriff „Hexenjagd“ sei ein Sinnbild für Unterdrückung.

„Allerdings darf man nicht vergessen, dass eine Unterdrückung zunächst einmal den Unterdrücker selbst trifft“, äußerte der Oppositionspolitiker weiter. „Wenn es, wie behauptet, wirklich eine Parallelstruktur gibt, muss der Staat, ohne sein Volk zu beunruhigen, sich mit dem Problem auf der Ebene des Gesetzes auseinandersetzten. Mit der Behinderung des Gesetzes und mit Waffengewalt geht das nicht. Sonst führt das zu Mord und Totschlag. Der Staat kann nicht auf die gleiche Art wie eine kriminelle Organisation vorangehen. Er darf nicht aus dem Kreis der Gesetze heraustreten. Seit zwölf Jahren seid ihr doch an der Spitze der Regierung, nicht wahr? Wenn es diese Struktur nun seit zwölf Jahren schon gegeben hatte, wo wart Ihr denn dann die ganze Zeit?“

Infolge der am 17. Dezember 2013 bekannt gewordenen Korruptionsuntersuchungen, die bis ins Umfeld der Regierung reichten, hatte eine hasserfüllte Rhetorik des Premierministers gegen innenpolitische Gegner einen Höhepunkt erreicht. Das jüngste Bekenntnis des Regierungschefs, „Wenn das eine Hexenjagd sein sollte, dann machen wir eben eine“ mit Blick auf Säuberungsaktionen im Staatsapparat wurde als ein Anzeichen für die Missachtung des Gesetzes bei der geplanten Operation der Regierung gegen einen angeblichen „Parallelstaat“ gewertet, hinter dem Erdoğan die Hizmet-Bewegung vermutet.

Neben Kamalak, der erklärte, dass, wenn jemand sich von der Gerechtigkeit trenne, er somit sein eigenes Schicksal vorbereite, äußerten sich auch noch andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Intellektuelle, Akademiker, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen. Wir dokumentieren einige Stimmen.

Prof. Deniz Ülke Arıboğan, Ökonomieprofessorin an der Universität Istanbul:

„Eine Aussage wie ‚Wenn das eine Hexenjagd sein sollte, dann machen wir eben eine‘ finde ich nicht in Ordnung. Menschen werden nur dann bestraft, wenn sie durch ihre Taten Straftatbestände verwirklichen. Die Zugehörigkeit zu einer Institution, ethnischen Gruppe oder Ideologie ist kein Verbrechen. Mit den Verbrechen der Menschen beschäftigt sich nicht die Politik, sondern das Gesetz. Nicht ein Politiker führt eine strafrechtliche Verfolgung durch, sondern ein Staatsanwalt. Ich gehe davon aus, dass diese Aussage des Premierministers seine eigentliche Absicht überschritten hat. Ich denke nicht, dass er diesen Begriff im vollen Bewusstsein seiner historischen Konnotation verwendet hat. Der Premierminister muss die Hizmet-Bewegung weder mögen noch muss er mit ihr kooperieren. Doch während er sich mit Straftaten nur im Rahmen der Gesetze befassen darf, muss er auch den Missbrauch des Gesetzes verhindern.“

Cengiz Çandar, Kolumnist von „Radikal“:

„Eine Person, welche die Türkei von außen beobachtet, könnte die Übersetzung der Worte des Premierministers als Ausdruck eines Kontrollverlustes oder bevorstehenden Regimewechsels innerhalb des Staates ansehen. Der Führer eines Rechtsstaates darf solche Sätze nicht benutzen. Die Bedeutung des Begriffes Hexenjagd lautet offensichtlich: ‚Ich beachte keine Gesetze und passe mich dem auch nicht an.‘ Denn der Begriff ‚Hexenjagd‘ wird für die Beschreibung einer außergesetzlichen Situation angewendet. Nur wenn dieser Staat kein Rechtsstaat sein soll und er diesen nicht beachten will, benutzt ein politischer Führer diesen Begriff. Die Beschreibung ‚Hexenjagd‘ ist politisch und verbunden mit einem psychologischen Krieg. Die Aussage ‚Wenn es so ist, dann machen wir das auch so‘, hat die gleiche Bedeutung wie ‚Wenn meine Taten innerhalb dem Rahmen des Gesetzes nicht ausreichen, handle ich notfalls auch außerhalb des Gesetzes.‘ Dies kann nicht die Sprache eines Landes mit einer gesunden Demokratie und einem funktionierenden Rechtsstaat sein.“

Ahmet Faruk Ünsal, Vorsitzender der Menschenrechtsgruppe Mazlum-Der:

„Seit mittlerweile vier Monaten wird behauptet, innerhalb des Staates wirke eine Parallelstruktur. Diese ziemlich ernste Behauptung muss vor Gericht gebracht werden. Seit dem 17. Dezember haben die Wahlen in der Türkei mit einer großen Angst stattgefunden. Die Öffentlichkeit wird demnach geformt. Wir wollen, dass diese Behauptungen endlich im Lichte des Gesetzes behandelt werden. Wenn Bestrafungen wie die Anwendung von Versetzungen innerhalb dieses Verwaltungsverfahrens durchgeführt werden, müssen auch diese Menschen einen Anspruch auf Verteidigung bekommen. Durch die Versetzung dieser Menschen ohne deren Anspruch auf Verteidigung könnten im Arbeitsleben bald jeder damit anfangen, andere aus Neid oder welchen Gründen auch immer irgendwelcher Umtriebe zu beschuldigen und könnte auch noch damit rechnen, dass sein Denunziantentum Erfolg hätte.“