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Gesellschaft

Zurück aus Deutschland: Warum ein syrischer Arzt in der Türkei bleibt

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In Deutschland hielt den syrischen Psychiater Nofal nichts. Er wollte in der Türkei seinen Leuten helfen. Nun arbeitet er in einem von der EU mitfinanzierten Projekt. Dafür verzichtete er sogar auf sein Asyl.

Der syrische Psychiater Jalal Nofal hätte ein ruhiges Leben in Deutschland haben können. Weit weg vom Krieg in Syrien und von der Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, von dem er nach eigenen Angaben verfolgt wurde. Viermal landete er deswegen im Gefängnis, wie er erzählt. 2015 floh er und bekam politisches Asyl. Doch in Deutschland hielt ihn nichts.

Er lächelt, wenn er heute an das kleine Dorf in der Nähe von Bielefeld denkt, in dem er mit seiner Frau lebte. «In Deutschland zu sein, das war für mich eine Art Stagnation. Das Land hat mein Potenzial nicht genutzt.» Er wollte in die Türkei und seinen Leuten helfen.

Seit mehr als einem Jahr arbeitet Nofal nun in dem Zentrum für mentale Gesundheit in der südtürkischen Stadt Gaziantep nahe der syrischen Grenze. Die Hilfsorganisation Relief International organisiert das Projekt. Das Geld dafür kommt aus dem Topf der drei Milliarden Euro, die im Rahmen des im März 2016 vereinbarten Flüchtlingspakts von der EU an die Türkei gehen. Drei weitere Milliarden sollen folgen.

Das Geld ist unter anderem Gegenleistung dafür, dass die Türkei Flüchtlinge von der EU fernhält: Jeder Syrer, der illegal auf den griechischen Inseln ankommt und kein Asyl erhält, soll in die Türkei zurückgeschickt werden. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf ein anderer Syrer legal in die EU einreisen.

Nofals Büro ist spärlich eingerichtet: Ein Schreibtisch, ein Schrank, eine kleine Sitzecke. Der kleine Mann mit den zurückgebürsteten grauen Haaren war ein bekannter Psychiater und Aktivist in Damaskus. Er ist auf Trauma und Krisensituationen spezialisiert.

In der Türkei sind nach offiziellen Angaben mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge registriert. Von den zwei Millionen Einwohnern in Gaziantep sind nach Schätzungen alleine 300 000 Syrer. Sie hätten «großen Bedarf» an psychischer Unterstützung, sagt Nofal. Laut einer Studie des schwedischen Roten Kreuzes von Ende 2016 leidet einer von drei syrischen Flüchtlingen unter psychologischen Problemen wie Depression, Angststörung und posttraumatischem Stresssymptom.

Eine Feststellung, die Nofal bestätigen kann. Die meisten seiner Patienten litten unter Traumata und Depressionen. Letzteres vor allem wegen der schweren Lebensbedingungen in der Türkei und der Zukunftsangst. Manche arbeiteten 14 oder 15 Stunden am Tag, viele davon schwarz.

Daher sei es auch wichtig, dass zur Behandlung Landsleute wie er eingesetzt werden. Der Meinung ist auch Psychologin Rouba Droish. Die 29-jährige Syrerin arbeitet in einem Projekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Gaziantep, ebenfalls mitfinanziert von der EU. «Weil ich Syrerin bin, kann ich verstehen, was die Leute durchgemacht haben.» In dem Gesundheitszentrum, in dem Droish arbeitet, werden Syrer nicht nur behandelt, sondern Ärzte wie sie auch weitergebildet, um sie in das türkische Gesundheitssystem zu integrieren.

Auf dem Gang drängen sich Männer und Frauen mit Kindern auf dem Arm. Die Wände wirken frisch gestrichen, die Ausstattung modern. 33 Syrer und drei Türken arbeiten hier als Ärzte oder Krankenschwestern. Vom Husten bis zur Psychotherapie – für jeden Fachbereich ist ein Arzt da. Das Gesundheitszentrum ist ausschließlich eine Anlaufstelle für Syrer, die davor zur Behandlung in ein türkisches Krankenhaus gehen mussten.

Syrische Ärzte entlasten türkisches Gesundheitssystem

Die verantwortliche Krankenschwester Elif Gül sagt: «Es war eine große Last für das türkische Gesundheitssystem. Durch die syrischen Ärzte wird das nun entlastet. Und früher gab es auch Übersetzungsprobleme, die wir jetzt nicht mehr haben.»

Das Europäische Amt für humanitäre Hilfe (Echo) entscheidet unter anderem, was mit dem EU-Geld aus dem Flüchtlingspakt passiert und investiert es in Projekte wie das von Relief International oder der WHO. Jane Lewis, Echo-Leiterin in der Türkei, bezeichnet beide Projekte als «Win-win-Situation», weil syrische Flüchtlinge dort einerseits versorgt und teilweise in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Beziehungen zur türkischen Regierung beschreibt sie als von «Anfang an sehr gut».

Das Geld von der EU scheint in der Türkei für Verbesserungen für Flüchtlinge zu sorgen, doch es gibt auch noch viele Probleme. Nofal und Droish haben Glück und können arbeiten, doch Arbeitsgenehmigungen sind schwer zu erhalten, wie auch Lewis einräumt. Flüchtlinge klagen zudem über eine schleppende Registrierung bei Neugeborenen. Und nicht jede Nichtregierungsorganisation (NGO) kann von guten Beziehungen zur türkischen Regierung berichten.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat zahlreiche NGO per Notstandsdekret schließen lassen. Darunter solche, die sich um Syrer kümmern. Der US-NGO Mercy Corps etwa wurde im März die Registrierung entzogen, sie musste sich aus der Türkei zurückziehen. 

Klarer Flüchtlingsstatus gefordert 

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert außerdem schon seit Jahren, dass die Türkei den Syrern keinen Flüchtlingsstatus zuerkennt. Sie haben lediglich den Status des «vorübergehenden Schutzes», der genau das ist, aber keine Rechtssicherheit bietet. Amnesty wirft der türkischen Regierung zudem Abschiebungen von Syrern zurück ins Bürgerkriegsland und in den Irak und Afghanistan vor.

Psychiater Nofal fordert deswegen einen klaren Status für Flüchtlinge wie ihn: «Es ist Aufgabe der türkischen Regierung zu sagen: Ihr seid Flüchtlinge und ihr habt die Rechte von Flüchtlingen.» Stattdessen behandele man sie wie Gäste. Nofal befürchtet sogar, dass die Türkei die Syrer bald wieder zurückschicken könnte.

Trotzdem verschwendet er keinen Gedanken daran, wieder nach Deutschland zu gehen. Und auch die Psychologin Droish will erstmal in Gaziantep bleiben. «Ich denke, für mich ist es besser, wenn ich nach Deutschland gehe. Aber wenn ich hier bleibe, ist es besser für die Syrer.»

Von Mirjam Schmitt, dpa

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