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Bildung & Forschung

Nachhilfe – alles andere als uncool

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Braucht jedes Kind Nachhilfe? Macht es Sinn, überhaupt Nachhilfe anzubieten bzw. vor allem in Anspruch zu nehmen, oder sind Nachhilfelehrer nur darauf aus, viel Geld zu verdienen? Wir sprachen mit Schülern und Lehrern. (Foto: E. Güler)

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Nachhilfe – alles andere als uncool
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„Wir wollen das Beste für unser Kind und unterstützen es dann auch, indem wir es in die entsprechende Nachhilfe schicken!“, heißt es wie aus einem Munde, wenn Eltern von Schülerinnen und Schülern unterschiedlichen Alters gefragt werden, weshalb sie ihr Kind in ein Nachhilfe-Institut schicken. Ganz so billig scheint die Inanspruchnahme professioneller Nachhilfe in Deutschland nicht zu sein. Egal ob Nachhilfe von älteren Schülerinnen und Schülern, Studierenden oder Lehrkräften gegeben wird – in jedem Falle sei es nicht wenig, was da an Geld verlangt würde. So zumindest der 19-jährige Sinan Cenk aus Schweinfurt, der, obwohl er schon 12 Jahre auf der Schulbank saß, sich dazu entschieden hat, ab September zusätzliche Bildungseinheiten zu genießen.

Trotz guter Noten noch zur Nachhilfe?

Anders sieht das Sima W., die 23-jährige Studentin aus Russland. Sie erhielt vier Jahre lang Nachhilfe im Fach Mathematik und sammelte sehr gute Erfahrungen. „Meine Noten haben sich verbessert und ich habe den Stoff verstanden. Damit ich den Faden nicht verliere und weil es immer gut ist, am Ball zu bleiben, hörte ich mit der Nachhilfe nicht auf. Es ist sehr effektiv, die Inhalte aus dem Unterricht erneut von jemand anderem und auf eine vielleicht etwas andere Art und Weise erklärt zu bekommen. Es ist also auf jeden Fall sinnvoll, weiterhin zur Nachhilfe zu gehen“, erinnert sie sich an ihre eigene Schulzeit.

Merve Karakaya, Dreizehntklässlerin eines sozialwissenschaftlichen Gymnasiums in der Nähe von Heidelberg, findet auch, dass Nachhilfe sich trotz guter Noten lohnt. „Selbst, wenn ein Schüler gut ist, fehlt es ihm an Übung. Durch die Nachhilfe ist man verpflichtet, sich mindestens einmal die Woche mit dem Fach zu beschäftigen. Es heißt ja nicht umsonst „Übung macht den Meister“. Ich finde, das Können bzw. die Intelligenz alleine reichen nicht aus, um erfolgreich zu sein“, betont Merve.

Bildungsberater und Geschäftsführer von Nachhilfe-Instituten kommen zu Wort

Erdal Özdemir, Diplom-Volkswirt, bedauert es, dass Schülerinnen und Schüler sehr unmotiviert an die Nachhilfe herangehen. Der 34-jährige war zwei Jahre lang als Nachhilfelehrer und danach als Kursleiter in einer Nachhilfe-Einrichtung tätig.

Nachdem er als Geschäftsführer in einem Unternehmerverein tätig gewesen ist, möchte er nun als Geschäftsführer und Kursleiter des Nachhilfezentrums Pangea Pforzheim zurück in die Bildung. „Die Bedeutung einer guten Bildung und ihre Rolle zu Hause mit den Kindern möchte ich den Eltern durch die Organisation von Elternseminaren verdeutlichen.“

Für Özdemir steht das Gemeinnützige im Vordergrund. Es bringe nichts, eine Nachhilfe-Einrichtung zu führen, um damit Profite einzufahren.

„Es ist finanziell schwer, eine Nachhilfe auf den Beinen zu halten. Deswegen sind Nachhilfevereine eher als gemeinnützige Institute zu betrachten. Man sollte das Kommerzielle eher sekundär in Erwägung ziehen“, lauten seine Worte, wenn es darum geht, dass Nachhilfe mehr als nur das Unterrichten von Kindern sei. „Lehrkräfte sollten sich leidenschaftlich um die Bedürfnisse der Schüler kümmern und wenn möglich eine Vorbildfunktion für sie erfüllen. Deswegen ist auch starker Bedarf an jüngeren Lehrern.“ Aber nichtsdestotrotz ist Özdemir der Meinung, dass die Mischung von Lehrkräften aus Jung und Alt von großer Bedeutung sei.

Auch Hakan Ateş, 35 Jahre alt, der seit 5 Jahren als Bildungsberater tätig ist, sieht die Bildung als gemeinsames Interesse von Eltern und Schülern egal welcher Herkunft, welchen Einkommens oder welchen Glaubens. So sei es für ihn von großer Bedeutung, Orte der Nachhilfe auch als Orte von Integration zu sehen. „Zum Zerschmettern jedweder Vorurteile reicht ein bisschen Bildung“, lautet seine Devise. „Ich bin nun seit ein paar Jahren in dieser Bildungsbranche tätig und sehe immer wieder, wie über Nachhilfe-Einrichtungen auch interfamiliäres Kennenlernen stattfinden kann.“ Das fördere natürlich auch jegliche soziale Kompetenzen sowohl der Schülerinnen und Schüler, als auch der Eltern untereinander.

Eine Veränderung in der Wahrnehmung zum Thema Nachhilfe, was Ateş auch als notwendig ansieht, verbessere also nicht nur Schulnoten, sondern leiste auch einen Beitrag dazu, langfristige Erfolge im Zwischenmenschlichen zu sichern.

Nachhilfe – ein „Milliardengeschäft am Nachmittag“?

Sima gibt mittlerweile auch selbst Nachhilfe im Fach Mathematik, um nebenbei noch etwas zu verdienen. „Außerdem macht mir dieses Fach unheimlich viel Spaß“, fügt sie hinzu. Doch viel verdienen kann man laut Sima durch das Nachhilfe geben nicht: „Vielleicht hört sich der Stundenlohn hoch an, aber man sollte nicht vergessen, dass es um Wissen geht, das weitergegeben wird. Und so viel sollte Bildung schon Wert sein.“

Konstantin Hupfeld, 24-jähriger Masterstudent an der Freien Universität Berlin und Nachhilfelehrer zugleich, findet, dass Eltern heute sehr viel mehr Geld für Nachhilfe ausgeben als zu seiner eigenen Schulzeit. „Viele Eltern zücken da zu leichtfertig den Geldbeutel und meinen, damit sind automatisch alle Probleme gelöst. Gerade kostenpflichtigen Internetdiensten zur Nachhilfe stehe ich kritisch gegenüber. Die meisten Eltern haben sicher eine gute Absicht, wenn sie so etwas für ihre Kinder bezahlen, aber die Kinder heutzutage verbringen meiner Meinung nach ohnehin schon zu viel Zeit mit der Mediennutzung, das sollte man nicht auch noch fördern. Außerdem ist es bekannt, dass alles, was am Computer gelernt wird, zu einem flacheren Verarbeitungsniveau des Lernstoffs führt und sich somit nicht für die Nachhilfe von Kindern eignet.“ Nachhilfelehrer empfehlen daher, dass die Eltern sich mit ihren Kindern und dem Schulstoff mindestens doppelt so viel beschäftigen sollten, wie sie selbst.

Für Nachhilfe braucht man sich nicht zu schämen

Doch nicht nur Nachhilfelehrerinnen und -lehrer, sondern auch andere Bildungsexperten messen der Eigenmotivation der Schülerinnen und Schüler eine große Rolle zu.

„Doch dadurch, dass Nachhilfe an sich nicht unbedingt positiv angesehen wird, und das sowohl unter Lehrerinnen und Lehrern als auch unter Eltern, kommt es vor, dass Schülerinnen und Schüler sich nicht trauen, zur Nachhilfe zu gehen“, beschwert sich die Nachhilfelehrerin und Lehramtsstudentin Meryem Karataş.

„An dieser Wahrnehmung könnte vor allem die Regierung was ändern.“ Dadurch, dass in der Türkei Nachhilfeeinrichtungen staatlich gefördert werden, sei die Wahrnehmung von „Nachhilfe“ allgemein hier in Deutschland ganz anders, berichten einige türkische Studierende, die zum Studium nach Deutschland gekommen sind und bemerkt haben, wie anders hier vor Ort die Wahrnehmung bezüglich der Nachhilfe sei.

Sima, die erfolgreich Mathematiknachhilfe erhielt, untermauert ganz deutlich, dass man sich nicht dafür schämen sollte, gute Noten haben zu wollen. „Oft hängt es auch mit dem Lehrer zusammen, dass man den Stoff nicht versteht, weil er diesen schlecht und unverständlich erklärt“, ermutigt sie Schülerinnen und Schüler. Auch Vivien Erdemer, die nach den Sommerferien in die 10. Klasse einer Realschule in Naila gehen wird, empfiehlt Schülerinnen und Schülern, sich zu trauen, Nachhilfe in Anspruch zu nehmen. „Uncool ist das überhaupt nicht, weil die Schüler sich ja eigentlich nur um ihre Zukunft bemühen. Und das ist ja nichts Schlechtes!“