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Bildung & Forschung

Erdoğan: „Ohne verpflichtenden Religionsunterricht kommen Drogensucht und Gewalt“

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Vor einer Vereinigung zur Stärkung der Moral in der Gesellschaft wies Präsident Erdoğan Kritik des EGMR am verpflichtenden Religionsunterricht zurück. Dieser sei das entscheidende Bollwerk gegen Drogensucht, Rassismus und Gewalt.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat der Forderung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes (EGMR), islamisch-sunnitischen Religionsunterricht nicht weiter als Pflichtfach in den Lehrplänen an türkischen Schulen zu belassen, als „falsch“ zurückgewiesen.

Wenn der verpflichtende Islamunterricht abgeschafft werde, werde „die Lücke von Drogen, Gewalt und Terrorismus gefüllt“, sagte Erdoğan nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Anadolu.

Die Existenz einer religiösen Kultur und einer Erziehung zur Moral in den Schulen darf nicht irgendwelchen spitzfindigen Diskussionen geopfert werden, betonte Erdoğan. Religiöse Bildung an Schulen helfe im Kampf gegen „Drogensucht, Terrorismus, Gewalt, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie“.

Der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof hatte die Türkei in einem Urteil Mitte September aufgerufen, den Schülern im Land die Möglichkeit zu geben, sich vom bisherigen Pflichtfach Religion befreien zu lassen, ohne dass die Eltern ihre Religionszugehörigkeit offen legen müssten. Der Staat müsse in religiösen Dingen neutral bleiben.

Die Entscheidung fiel nach einer Klage alevitischer Türken, die ihre Kinder nicht mehr in den bisher sunnitisch geprägten Religionsunterricht schicken wollen. Als Mitglied des Europarates ist die Türkei an die Entscheidungen aus Straßburg gebunden.

System wurde 1982 in der Verfassung verankert

Premierminister Ahmet Davutoğlu hatte eine Prüfung des Urteils zugesagt, zugleich aber betont, selbst Atheisten müssten über religiöse Kenntnisse verfügen. Konkrete Pläne zu einer Umsetzung der  Entscheidung sind bisher nicht bekannt.

Unter dem derzeitigen, bereits seit der Verfassung von 1982 bestehenden System können sich nur Schüler der anerkannten religiösen Minderheiten – Juden, Armenier und Griechen – vom staatlichen Religionsunterricht befreien lassen. Die Aleviten müssen dagegen am herkömmlichen Religionsunterricht teilnehmen.

Präsident Erdoğan übte im Rahmen eines dreitägigen Symposiums des „Grünen Halbmondes“ („Yeşilay“), einer NGO, die sich für den Schutz der Gesellschaft und der Jugend vor destruktiven und sozial schädlichen Einflüssen einsetzt, scharfe Kritik an der Entscheidung des EGMR. „Die verpflichtenden Physik- oder Chemiestunden werden nirgendwo auf der Welt in Frage gestellt, aber jeder spricht von den Religionsstunden“, empörte sich Erdoğan.

Widersprüchliche Spruchpraxis des EGMR

Der EGMR hatte unter anderem argumentiert, dass das türkische Bildungssystem „immer noch inadäquat ausgestattet“ sei, um „den Respekt vor den Überzeugungen der Eltern sicherzustellen“ und verletze dadurch das „Recht auf Bildung“. Einen ähnlichen Schutz für die Überzeugungen von Eltern und das elterliche Erziehungsrecht hatte der gleiche Gerichtshof hingegen noch 2011 im Zusammenhang mit einem Fall aus Deutschland verneint, als es um die Verpflichtung von Schülern zur Teilnahme am Unterricht über Sexualkunde sowie am Schulkarneval gegangen war.

Erdoğan wies im Rahmen seiner Rede darauf hin, dass 180 Millionen Menschen weltweit Drogen verwenden würden und 75 Millionen von diesen abhängig seien. Mindestens 2,7% der türkischen Bevölkerung habe zumindest einmal illegale Substanzen benutzt. Auch gefährde der Terrorismus derzeit den Weltfrieden. „Ihr seht, dass jeder zwar über die Resultate spricht, aber nicht über die Ursachen derselben.“

In einem sarkastischen Kommentar warf Erdoğan den europäischen Institutionen islamfeindliche Voreingenommenheit vor, als er fragte, warum die europäischen Freunde im Zusammenhang mit der PKK „keinen Finger gerührt“ hätten. „Es wird daran liegen, dass diese Terrororganisation nicht den Begriff ‚Islam‘ in ihrem Namen führt“, gab Erdoğan selbst die Antwort.

Kritik der Türkischen Gemeinde in Deutschland an Erdoğan

Unterdessen hat sich die Türkische Gemeinde in Deutschland von den Äußerungen Erdoğans distanziert und die Einhaltung des Urteils angemahnt.

„Die Türkische Gemeinde in Deutschland kommentiert grundsätzlich die Innenpolitik in der Türkei nicht“, hieß es in einer Erklärung. „Jedoch unterstützt die TGD den EU-Beitritt der Türkei. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung eines demokratischen Rechtsstaates, unter anderem auch durch Umsetzung der Entscheidungen der Europäischen Gerichtsbarkeit (Europäischer Gerichtshof/EuGH und EGMR).“

Offenbar habe sich, so die TDG, Staatspräsident Erdoğan die Bundesregierung zum Vorbild genommen. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, das EuGH-Urteil, wonach eine Sprachprüfung vor der Erteilung von Einreisevisa für den Familiennachzug für türkische StaatsbürgerInnen nicht zulässig ist, umzusetzen (EuGH-Urteil vom 10. Juli 2014, Rechtssache C‑138/13). So sollte sich die Annäherung zwischen Bundeskanzlerin Dr. Merkel und Staatspräsident Erdoğan nicht gestalten.“

Als Staatspräsident ist Erdoğan nicht mehr in aktiv steuernder Weise in den Gesetzgebungsprozess in der Türkei involviert. Er hat jedoch Möglichkeiten, um das Zustandekommen von Gesetzen zu verzögern oder zu erschweren. (KNA/dtj)