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Politik

„Zerschlagung der Polizei macht die Türkei wehrlos gegen den Terror“

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In einem Interview wirft der frühere Antiterrorermittler Ömer Köse Ankara vor, die Polizei durch Zerschlagung gegen den Terror handlungsunfähig zu machen. Im Kampf gegen die „Parallelstruktur“ wurden ganze Abteilungen umstrukturiert.

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verhafteter türkischer Polizist
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Der frühere Leiter der Antiterrorabteilung in der Istanbuler Polizeibehörde, Ömer Köse, der seit Dezember im Silivri-Gefängnis wegen des Verdachts, der so genannten „Parallelstruktur“ anzugehören, in Untersuchungshaft sitzt, hat schwere Vorwürfe gegen Kollegen und Teile der Justiz erhoben und behauptet, alleine während seines letzten Jahres im Amt wären 200 Mitglieder der terroristischen „Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C) laufen gelassen worden.

In einem Gespräch mit dem Kolumnisten Gültekin Avcı von der Tageszeitung Bugün im Silivri-Gefängnis gab Köse Auskunft zu Fragen rund um die Terrororganisation, die sich in der Vorwoche mit der Geiselnahme und Ermordung des Istanbuler Staatsanwalts Mehmet Selim Kiraz wieder zurück ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gemordet hatte.

Köse zufolge hätten Polizeikräfte im letzten Jahr vor seiner Amtsenthebung im Zuge sukzessive durchgeführter und erfolgreicher Konterterrorismus-Operationen bis einschließlich Juli 2014 nicht weniger als 200 mutmaßliche DHKP-C-Terroristen festgenommen. „Sie wurden alle festgenommen“, erklärte Köse. „Es gab noch keine ‚Friedensgerichtshöfe‘ [die im Vorjahr von damaligen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan eingeführt wurden]. Als das Theater mit dem ‚Parallelstaat‘ begann, wurden sie alle freigelassen. Alle DHKP/C-Terroristen wie Şafak Yayla und Elif Sultan Kalsen konnten von da mit ihren bewaffneten Aktivitäten fortfahren.“

Köse: „Die Polizei hat in Çağlayan versagt“

Yayla war einer der beiden Terroristen, die an der Geiselnahme und Ermordung des Staatsanwalts Mehmet Selim Kiraz beteiligt waren und bei der Polizeiaktion im Zusammenhang mit dem Terrorakt erschossen wurden. Kalsen wurde am 1. April in Istanbul beim Versuch erschossen, mit einem Gewehr bewaffnet das Polizeipräsidium anzugreifen.

Köse warf in seinem Gespräch mit Bugün die Frage auf, wie es geschehen konnte, dass es die DHKP-C geschafft habe, nach ihrer weitgehenden Zerschlagung in so kurzer Zeit wieder eine logistische und organisatorische Stärke zu gewinnen, die es ihr ermöglicht hätte, zwei bewaffnete Extremisten in ein Gerichtsgebäude zu bringen und dort einen Staatsanwalt zu töten.

„Hätten wir die Fehler begangen, die sich die derzeitige Nationale Polizeiabteilung für Terrorismus und die Geheimdienste von Anbeginn der Geiselnahme an geleistet hatten, wären wir schon am nächsten Tag unsere Posten los gewesen“, äußerte Köse. „Sie üben aber ihre Ämter immer noch aus und sind faktisch Komplizen der Regierung. Sie sind faktisch unversetzbar, denn ohne sie wäre keiner mehr da, der die Ermittlungen zum ‚Parallelstaat‘ führen könnte.“

Ermittlungen gegen „Parallelstaat“ seien Lebensversicherung für die Beamten

Vor diesem Hintergrund, so Köse, sei es auch zu sehen, dass Präsident Erdoğan sich bei den Polizeibeamten, die an der Aktion von Gerichtsgebäude teilgenommen hatten, dankte und ihnen trotz des Todes der Geisel bescheinigte, „gute Arbeit“ gemacht zu haben. Er wollte damit lediglich die Moral der Beamten stärken, die gegen den so genannten „Parallelstaat“ ermitteln, als dessen Kern die Regierung die vom in den USA lebenden Islamgelehrten Fethullah Gülen inspirierte Hizmet-Bewegung betrachtet.

Köse warf auch die Frage auf, warum die DHKP-C-Selbstmordattentäterin Elif Kalsen sich ausgerechnet das Polizeipräsidium in Istanbul und nicht irgendeine andere Polizeistation für ihren Angriff ausgesucht hätte. „Sie wollten uns eine Nachricht damit übermitteln, dass sie in der Lage sind, direkt ins Herz des Staates zu treffen.“

Nach der Zerschlagung habe man alle geplanten Operationen abgeblasen

Der frühere Polizeibeamte warf der Regierung vor, im Laufe der letzten eineinhalb Jahre keinerlei Operationen gegen die DHKP-C unternommen zu haben und durch die Zerschlagung unzähliger Polizeieinheiten infolge der im Dezember 2013 bekannt gewordenen Korruptionsermittlungen deren Schlagkraft im Kampf gegen den Terrorismus beseitigt zu haben.

„Wir hatten [vor der vollständigen Umkrempelung des Polizeiapparates] weitreichende Operationen gegen Gruppen wie die PKK, die DHKP-C, Al-Qaida und den ‚Islamischen Staat‘ geplant. All diese Projekte wurden auf Anweisung der Regierung blockiert“, behauptet Köse. Unter anderem habe man sämtliche Überwachungs- und Abhörmaßnahmen gegen Mitglieder der DHKP-C gestoppt.

Neben Köse waren mit Yurt Atayün, Ali Fuat Yılmazer, Erol Demirhan und Kazım Aksoy mehrere weitere langjährig erfahrene Polizeioffiziere am 22. Juli 2014 verhaftet worden, als gegen insgesamt 42 Polizeibeamte vorgegangen wurde, denen die Regierung die Beteiligung an einer Verschwörung vorwirft, die von einer so genanntan „Parallelstruktur“ im Staat ausgehe und die unter anderem zum Ziel gehabt hätte, auf dem Wege der im Dezember 2013 bekannt gewordenen Korruptionsermittlungen die Regierung zu stürzen.