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Bildung & Forschung

Gül: „Wir sollten zunächst die Defizite im Bildungssystem aufarbeiten“

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Die Dershanes sind Bildungseinrichtungen, die schon vielen Kindern aus armen Verhältnissen den Weg an die Universitäten geebnet haben. Statt sie zu verbieten, sollte der Staat lieber das Bildungssystem verbessern. (Foto: cihan)

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Dershane Schüler mit Lehrern - cihan
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Die türkische Regierung hat vor, die privaten Nachhilfeschulen – Dershane –  zu schließen. Sie begründet es damit, dass dadurch die arme Bevölkerung vor den hohen Kosten geschützt werden soll, welche der Besuch der zusätzlichen privaten Bildungseinrichtungen verursachen würde. Im kommenden Jahr sollen – so sickerte aus einem Gesetzesentwurf durch – den Dershanes keine Lizenzen mehr verliehen werden und die bereits vorhandenen privaten Bildungseinrichtungen sollen in private Schulen umgewandelt werden. Die Regierung dementiert diese Berichte noch. Dennoch ist es offenkundig, dass man ein Verbot anstrebt und den Markt auf dem Gebiet des Bildungswesens überlisten möchte.

Das Aufkommen der privaten Bildungseinrichtungen wurde stark von den besonderen Bedingungen nach 1980, also nach dem Militärputsch, begünstigt. Es wurden nach 1980 viele Dershanes gegründet. Sie sind Bildungseinrichtungen, die den Inhalt der Schulfächer nach dem Unterricht noch einmal zur Wiederholung und Vertiefung anbieten. Somit bekommen die Schüler die Möglichkeit, die Ausbildungsmängel an staatlichen Schulen durch eine Extra-Förderung am Nachmittag auszugleichen, damit zum Beispiel die Chance gewahrt wird, die Aufnahmeprüfung für die Universitäten zu bestehen.

Die Dershanes haben einen relativ guten Ruf, so dass sogar manche Aufnahmetests durchführen. Große Chancen, die Aufnahmeprüfungen zu bestehen, ermöglichen meist die Privat- und Eliteschulen. Diese sind aber sehr teuer. Obwohl der begleitende Unterricht in den Nachhilfezentren auch teuer ist, ist er im Gegensatz zu den Privat- und den Eliteschulen noch relativ günstig. Der schwierige Zugang zu guter Bildung und zum beruflichen Erfolg hat den Bereich der Dershane erfolgreich und nützlich gemacht.

Staatliche Schulen: Schlechte Bezahlung, geringe Motivation

Der Status der Dershane wurde schon vor 1980 gesetzlich geregelt. Doch während der Militärverwaltung wurden die Dershane schon einmal von 1980 bis 1983 geschlossen, doch durch eine Neuregelung unter Turgut Özal 1984 wieder erlaubt. Kritisiert werden vor allem die Chancenungleichheit, das Abwerben guter Lehrer wegen höherer Löhne und die angebliche Gewinnorientierung der Institutionen bzw. Dershane.

Fakt ist jedoch, dass in erster Linie das staatliche Bildungssystem insgesamt Chancenungleichheit fördert und zudem die Löhne der Lehrer an staatlichen Schulen sehr gering hält. Für die meisten sind die Dershanes eine Möglichkeit, die schlechten Bedingungen zu umgehen. Die Ergebnisse der Absolventen, die die Dershane besucht haben, sind sehr gut und diese haben somit ein sehr positives Ansehen.

Heute sind die Dershanes vollständig in die staatliche Bildungspolitik integriert und werden vom Ministerium für Bildung in Unterricht und Lehrmittelauswahl kontrolliert. Damit sind diese Einrichtungen keine richtigen privaten Bildungseinrichtungen und die Privatschulen auch nicht privat. Eine Privatschule basiert nämlich auf der selbständigen Finanzierung und der Unabhängigkeit bei der Gestaltung der Lehrpläne.

Abdullah Gül, der Präsident der Türkei, betonte am Freitag, dass zunächst untersucht werden müsse, worin die Ursachen und die Notwendigkeit für die Gründungen von Dershanes bestehen, damit die entsprechenden Probleme gelöst werden können. Ohne die Bildungsdefizite im staatlichen System zu eliminieren, sei es nicht sinnvoll, die Dershanes abzuschaffen. Er sprach von „Angebot und Nachfrage“.

Wenn die Regierung wirklich vorhat, die ärmeren Familien zu entlasten, sollten zunächst die Bildungsstandards verbessert werden. Damit die Nachfrage nach den Dershanes zurückgeht, wäre es notwendig, die Ausgaben für die Bildung zu erhöhen und konsequent Bildungsreformen umzusetzen. Würde die Qualität der staatlichen Schulen auf das Niveau der Privat- und der Eliteschulen gebracht werden, müssten die ärmeren Familien nicht die privaten Bildungseinrichtungen nutzen. Ohne Konkurrenz und Wettbewerb geht das aber nicht.

Selbstbestimmung und freier Markt statt Kommandowirtschaft

Die Schulen sollten mehr Chancengleichheit bei der Bildung und in der Berufsorientierung bieten, welche noch sehr mangelhaft ist. Die Gründung von mehr Universitäten und neuen Ausbildungsstrukturen senkt den Druck, die Aufnahmeprüfungen sehr gut zu bestehen. So könnten Schüler die Lernorte besuchen, wo ihre Stärken gefördert werden.

Nicht Fremdbestimmung, sondern eigener Wunsch und eigene Ziele werden dann im Vordergrund stehen. Das Vertrauen an die staatlichen Schulen könnte durch ein freies Bildungssystem und den damit verbundenen Kampf um die besten Köpfe erhöht werden.

Reformen müssen auch mit Blick auf die gegenwärtigen Prüfungsmodalitäten und die Aufnahmeprüfungen eingeleitet werden, welche die Schüler eher krank machen und nicht immer zu selbstbewussten und eigenständigen Menschen in der Gesellschaft. Eine gute Lehrerausbildung und Bezahlung der Lehrer könnte die Motivation stärken, an einer staatlichen Schule zu arbeiten. Anstatt die privaten Bildungseinrichtungen abzuschaffen, wäre zudem eine Zusammenarbeit mit den erfahrenen und erfolgreichen privaten Institutionen förderlich.

Abdullah Gül hat Recht. Die Regierung hat noch viel Arbeit vor sich. Ein Verbot oder eine Schließung der privaten Einrichtungen löst das Problem nicht. Der natürliche Prozess, der konstruktiv von der Regierung genutzt werden könnte, würde einen Konflikt vermeiden und insgesamt der Bevölkerung zu Gute kommen. Wobei ein gesunder Wettbewerb nicht schaden würde.